Die dem Hafen Esbjerg vorgelagerte Sandbank gehört den Seehunden und Kegelrobben des dänischen Wattenmeers. Fotos: Kai Ortel, Berlin
Kai Ortel
Seehund-Safari im dänischen Wattenmeer mit Færgen’s kleiner SØNDERHO
In der Flotte der dänischen Fährreederei Færgen ist sie etwas ganz Besonderes, nämlich das älteste und gleichzeitig das kleinste Schiff von allen. Genaugenommen ist die SØNDERHO nicht einmal eine richtige Fähre, doch im Hafen von Esbjerg gehört sie mittlerweile fast zum Stadtbild. Denn die meiste Zeit des Jahres liegt sie einfach nur da. Am Reserve-Anleger in Esbjerg, ungenutzt und unbemannt, während ihre großen Schwestern FENJA und MENJA unermüdlich den Fährdienst zur benachbarten Insel Fanø aufrechterhalten. 1977 hatten die Dänischen Staatsbahnen DSB die Fährlinie als letzte des Landes vom dänischen Post- und Telegrafenwesen übernommen, da war die kleine SØNDERHO bereits 15 Jahre alt. Mit einem Tiefgang von nur 1,20 Meter sollte sie ursprünglich vor allem bei Niedrigwasser zum Einsatz kommen, da die damaligen Fanø-Fähren ESBJERG und NORDBY mit ihren 2,90 Meter Tiefgang bei Ebbe hier und da Probleme in den flachen Gewässern des Wattenmeers vor Esbjerg hatten. Von Zeit zu Zeit kam die SØNDERHO auch tatsächlich als Vertretung während der Werftzeiten der Regelfähren zum Einsatz, doch da sie bis heute weder Autos befördern kann noch über eine Gastronomie an Bord verfügt, ist ihr Nutzwert schon von Anbeginn an begrenzt gewesen. Alle Wechsel in der Eigentümerstruktur ihrer Reederei hat sie nichtsdestotrotz tapfer mitgemacht. So wurde 1995 aus dem Fährbetrieb der DSB die eigenständige DSB Rederi A/S, die zwei Jahre später unter dem Namen Scandlines privatisiert wurde. Die innerdänischen Scandlines-Fähren wurden nun dem Unternehmensteil Scandlines Sydfyenske (SFDS) angegliedert, der wiederum 2007 privatisiert und in „Nordic Ferry Services” umbenannt wurde. Die Linie nach Nordby auf Fanø firmierte nun unter der Bezeichnung „FanøTrafikken”, und die SØNDERHO bekam nun plötzlich ein hellblaues Kleid, das ihr so gar nicht stehen wollte. Doch nicht für lange, denn Anfang 2011 wurde aus „Nordic Ferry Services” das schlichtere „Færgen”, und die drei Fanø-Fähren, nun offiziell „FanøFærgen”, erhielten ihren ursprünglichen blauschwarzen Rumpf zurück.
Subventioniert wird die Fährlinie im Übrigen nicht. Sie trägt sich selbst, und dazu steuert auch die mittlerweile etwas in die Jahre gekommene SØNDERHO ihren Teil bei. Denn jedes Jahr im Sommer kommt die große Zeit der kleinen Barkasse. Dann fallen die Urlauber aus Deutschland, Norwegen und dem Rest Dänemarks in Scharen auf Fanø ein, so dass an den Anlegern lange Staus entstehen und die FENJA und MENJA Mühe haben, der Menge an Passagieren, Fahrrädern, Autos und was sonst noch so im Juli und August nach Fanø will, Herr zu werden. Auch Esbjerg selber ist während dieser Zeit voller Touristen, und dann kommt auch die SØNDERHO zum Einsatz, an vier Tagen in der Woche sogar zweimal täglich. Hafenrundfahrten unternimmt sie dann, sowohl von Esbjerg als auch von Nordby aus, und hinaus zu den Seehundbänken vor Fanø fährt sie auch noch gleich. „Sael Safari” (Seehund-Safari) nennt Færgen diese Kombination aus Hafenrundfahrt und Ausflugstour, und während gewöhnliche Rundfahrten dieser Art kaum länger als 60 Minuten dauern, nimmt sich die SØNDERHO ganze zweieinhalb Stunden Zeit dafür.
Genug zu sehen gibt es jedenfalls. Doch wer den Hafen von Esbjerg noch von seinen Urlaubsreisen nach Westjütland oder Fanø in den 1980er und 1990er Jahren in Erinnerung hat, erkennt ihn heute fast nicht wieder. Die berühmte Englandfähre, welche die Reederei DFDS mit Eröffnung des Esbjerger Hafens 1875 eingerichtet hatte, gibt es zwar noch, aber Passagiere und Autos nimmt sie inzwischen nicht mehr mit. Und sie fährt auch nicht mehr nach Harwich oder Newcastle, sondern nach Immingham, einen schmucklosen Frachthafen südlich von Hull. Die klangvollen Schiffsnamen, die einst das Präfix „Dana” oder den Zusatz „of Scandinavia” trugen, sind auch Geschichte, die aktuellen Englandfähren von DFDS heißen ARK DANIA und ARK GERMANIA. Doch auch andere RoRo-Schiffe gibt es auf der Hafenrundfahrt in Esbjerg zu sehen, so die GRANDE EUROPA von Grimaldi Lines oder die CITY OF AMSTERDAM von Nissan. Beide sind jedoch in erster Linie Autotransporter, die Neuwagen zwischen Skandinavien, Großbritannien und Häfen im Mittelmeer befördern. So läuft die CITY OF AMSTERDAM u. a. Emden, Sheerness und Setubal an, die GRANDE EUROPA dagegen im Rahmen von Grimaldis EuroMed-Service das schwedische Wallhamn bzw. auf dem Rückweg in südlicher Richtung Antwerpen, Southampton und Salerno. Ein Passagierhafen ist Esbjerg nicht mehr, die Fähren nach Fanø natürlich ausgenommen.
Auch wer Esbjerg noch als idyllischen und für jedermann frei zugänglichen Fischereihafen in Erinnerung hat, in dem man den Fischern beim Löschen ihrer (bisweilen streng riechenden) Ladung praktisch über die Schulter gucken konnte, reibt sich diese Tage verwundert die Augen. Denn die meisten Fischerboote sind verschwunden, den Hafen dominieren stattdessen große Offshore-Versorger wie die REM FORTUNE, ISLAND CAPTAIN und ISLAND CENTURION bzw. gleich die kompletten Öl-Bohrinseln selber, letztere „aufgebockt” auf speziellen Trägerschiffen wie der WIND SERVER. Und frei zugänglich? Ist der Hafen von Esbjerg schon lange nicht mehr. Hohe ISPS-Zäune riegeln weite Teile des Hafengeländes inzwischen ab – „aus Sicherheitsgründen”.
Einzige Konstante über die Jahrzehnte hinweg ist die 1981 gegründete Esbjerger Firma Esvagt, deren Multifunktionsschiffe so ziemlich alle Arbeiten übernehmen, die im Bereich „Offshore Safety and Support” anfallen – von der Brand- und Ölbekämpfung über Abschlepp- und Ankerdienste bis hin zur Seenotrettung. Wer Glück hat, kann im Rahmen einer Hafenrundfahrt eines oder mehrere der knallroten Schiffe der Reederei wie die ESVAGT CORONA, ESVAGT BETA oder ESVAGT CONNECTOR zusammen mit dem Wasserturm, dem Wahrzeichen Esbjergs, vor dem sommerlich blauen Himmel ablichten.
Gleich neben der Esvagt-Flotte haben die Hafenschlepper festgemacht, deren Dienste nicht zuletzt von dem einen oder anderen Kreuzfahrtschiff benötigt werden, die Esbjerg im Sommer hin und wieder anlaufen. In dem dänischen Hafen sind aktuell die Maersk-Schlepper SVITZER NABI und SVITZER HELIOS beschäftigt, letzterer mit Baujahr 1973 ebenfalls bereits ein kleiner „Oldie”. Ungeschlagen in dieser Beziehung ist jedoch das kleine rote Schiff mit dem Rumpf aus Eichenholz, das seit 1990 als Museumsschiff in Esbjerg liegt. Die 1914 gebaute HORNS REV diente bis 1980 als Feuerschiff an der dänischen Westküste vor Blåvand und hat seinen endgültigen Liegeplatz inzwischen leicht zugänglich für Besucher im Lystbådehavn (Freizeithafen) gefunden.
Ehe die kleine SØNDERHO endgültig Kurs auf die große Seehundsbank im Wattenmeer zwischen Esbjerg, Fanø und der Halbinsel Skallingen nimmt, fährt sie jedoch noch an einem weiteren Giganten der Meere vorbei. Die 2012 gebaute BOLD TERN von Fred. Olsen Windcarrier ist wie die WIND SERVER ein sogenannter „Jack up Vessel”, ein Offshore-Transportschiff, das mit Hilfe seines Krans für Lasten von 880 t Gewicht jede noch so sperrige Ladung befördert, welche die moderne Windkraft-Industrie auf der Nordsee transportieren muss.
Die BOLD TERN hinter uns gelassen, geht es dann aber tatsächlich endlich zu den Seehunden; für viele Familien, welche die Rundfahrt als Alternative zu einem Strandtag unternehmen, sicherlich das Highlight der Tour. Die ersten neugierigen Robbenköpfe tauchen schon mitten in der Fahrrinne aus dem Wasser, der überwiegende Teil des Rudels macht es sich jedoch vor allem bei Ebbe auf der breiten Sandbank zwischen Skallingen und Fanø gemütlich. Und nicht nur das: Etwas abseits von den kleineren Seehunden haben sich auch ein paar Kegelrobben niedergelassen, die weniger gesellig, dafür mit ihrem dunklen Fell und der charakteristischen „Hakennase” aber einfach zu identifizieren sind. Auf Tuchfühlung mit den Tieren darf die SØNDERHO jedoch nicht gehen, immerhin hat auch der dänische Teil des Wattenmeers seit 2010 Nationalpark-Status. (Unter Naturschutz stehen die Sandbänke der Ho Bucht und Skallingens bereits seit 1982.) Doch ein unvergessliches Erlebnis bleibt der Anblick der Robben natürlich trotzdem, vor allem für die Großstadtkinder an Bord, die Tiere wie diese sonst nur aus dem Zoo oder aus dem Fernsehen kennen. Und während der Bestand an Seehunden seit über 30 Jahren stabil ist und im ganzen dänischen Wattenmeer stolze 3.000 Tiere umfasst (von denen etwa 2.500 rund um Esbjerg, Fanø und Skallingen vorkommen), erzählen die Kegelrobben von Esbjerg eine ganz besondere Geschichte: Diese Tierart hatte der Mensch nämlich im gesamten Wattenmeer bereits im 16. Jahrhundert durch Jagd weitgehend ausgerottet. Erst 400 Jahre später, in den 1980er Jahren, wagten sich einzelne Tiere von England kommend wieder zuerst ins niederländische und dann auch ins deutsche Wattenmeer – nach Juist, nach Amrum und nach Helgoland. Und von dort aus nun schließlich auch noch ein Stück weiter – in den dänischen Teil des Nationalparks, wo im Dezember 2014 zum ersten Mal seit 400 Jahren wieder ein Kegelrobbenbaby gesichtet wurde.
Und so hat die Hafenrundfahrt mit der SØNDERHO nach all den schwimmenden Ungetümen aus Stahl sogar noch ein Happy End, denn wer kann schon Hunderten von Kulleraugen widerstehen, die einem nur ein paar hundert Meter entfernt von ihrer Sandbank aus neugierig entgegenblicken? Der Nationalpark Wattenmeer ist eine der viel zu wenigen Erfolgsgeschichten, die der länderübergreifende Naturschutz zu bieten hat, und dass ein Schiff wie die kleine SØNDERHO ihn so hautnah erlebbar macht, macht das Ganze auch noch touristisch attraktiv. Als der liebenswerte Færgen-Oldtimer auf seiner Rückfahrt zum Ausgangspunkt in Esbjerg noch kurz Halt in Nordby auf Fanø macht, wartet er sogar noch mit einer weiteren Überraschung auf. Denn selbst am geschäftigen Fähranleger der Urlauberinsel hat sich inzwischen eine Gruppe Seehunde dauerhaft niedergelassen. Den Sicherheitsabstand zu den Touristen halten sie hier zwar nicht mehr ein. Aber man kann es den Tieren ja schließlich nicht verbieten. www.faergen.de
Technische Daten und Steckbrief MS SØNDERHO
Bauwerft: Esbjerg Jernstøberi og Maskinfabrik, Esbjerg (Dänemark), 1962; Flagge: Dänemark; Heimathafen: Esbjerg; Tonnage: 93 BRZ; Länge: 26,30 Meter; Breite: 6,10 Meter; Tiefgang: 1,20 Meter; Passagiere: 199; Leistung: 235 kW; Höchstgeschwindigkeit: 10 Knoten.
Die SØNDERHO verholt am Morgen von ihrem nächtlichen Liegeplatz zu ihrem Einschiffungspier im Hafen von Esbjerg.
Für Hafenrundfahrten sowie für die kurze Überfahrt von Esbjerg nach Fanø ist der schlichte Charme des Innenraums der SØNDERHO ausreichend.
Die Auto- und Passagierfähre FENJA wurde 1998 für die Linie Esbjerg–Fanø gebaut.
Geblieben ist nur der Name: Die dänische Traditionsreederei DFDS verkehrt seit 2014 nur noch mit reinen Frachtfähren wie der ARK DANIA zwischen Esbjerg und England.
Auf dem Oberdeck der SØNDERHO. Während einer Hafenrundfahrt in Esbjerg kann man mehr große Schiffe bestaunen als in so manch
deutschem Hafen. Auf dem Achterdeck der SØNDERHO, im Hintergrund läuft die CITY OF AMSTERDAM aus dem Hafen aus.
Die 2012 gebaute norwegische ISLAND CAPTAIN wird als „Well-Stimulation Vessel” geführt, was sich mit „Bohrassistenz-Schiff” übersetzen lässt.
Die WIND SERVER ist ein sog. „Jack up”-Schiff (Errichterschiff), ihre vier Hubbeine sind jeweils 72 Meter lang.
Das Kohlekraftwerk der Firma Dong Engery im Hafen von Esbjerg wurde 1992 in Betrieb genommen; sein 250 Meter hoher Kaminturm ist der
höchste in ganz Skandinavien.
Die knallroten Schiffe der Reederei Esvagt sind im Hafen von Esbjerg nicht zu übersehen. Die ESVAGT CORONA ist offiziell ein „Safety Standby
Vessel” (SSBV).
Das Offshore-Schiff ESVAGT CONNECTOR an seinem Liegeplatz am Fuß des Wasserturms von Esbjerg, dem Wahrzeichen der Stadt.
Selbst gegenüber dem Fähr- und Bootsanleger der Insel Fanø macht es sich bei Ebbe ein Rudel Seehunde gemütlich.