Der 118 Meter hohe Königsstuhl der Kreideküste von Ost-Rügen. Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund
Dr. Peer Schmidt-Walther
Zwischen Ostseestrand und Havelland
Lob der Langsamkeit: kontrastreiche Kreuzfahrt mit MS KATHARINA VON BORA
Teil 2
Klein-Holland in der uckermärkischen Schorfheide
Die Busrundfahrt von Eberswalde führt zur Zisterzienser-Klosterruine Chorin von 1334, gilt sie doch als eines der ältesten teilweise noch erhaltenen Bauwerke der Backsteingotik. Die Führung gibt auch Einblicke in das karge Leben der Mönche zu damaliger Zeit. „Aber es gab sauren Wein und dünnes Bier”, grinst der Hobby-Forscher, „ein schwacher Trost”.
Zum Schluss noch einmal Niederfinow: diesmal mit tiefen Einblicken von der Aussichtsterrasse hinunter auf spielzeugkleine Schiffchen, die in den Trog einlaufen.
Vor den kommenden Brückenpassagen haben die Matrosen die Reling umgelegt. Angestrengt peilen sie nach vorn. „Gleich wird’s gaaanz knapp”, weiß einer und warnt noch einmal die Passagiere davor, von ihren Stühlen aufzustehen und vor allem nicht die Köpfe zu heben. „Das Beschädigen der Brücke ist bei Strafe verboten!” scherzt er. Bei einer etwas höheren Konstruktion freut sich eine Frau über ihren geduckten Mann: „Endlich bist du mal ganz klein!” Der umfangreiche Herr neben ihnen verzieht sich vorsichtshalber gleich nach unten: „Bei meinem Bauch kann ich mich nicht bücken.” Tiefe Kratzspuren unter der Brücke zeugen von unsanfteren Annäherungen weniger glückhafter Schiffe.
Vor dem Abzweig zum Werbellin-Kanal begrenzen hohe Deiche das tiefliegende, sumpfige Wiesenland – „Klein Holland” genannt – am Rande des uckermärkischen Biosphärenreservats Schorfheide. Wildschweine wühlen hingebungsvoll in der Kanalböschung. „Das hab’ ich auch noch nicht gesehen”, meint ein Potsdamer von diesem Anblick beeindruckt. „Und erst die fischenden Reiher aus der Vogelperspektive”, schwärmt seine Frau. Dazu zählt auch ein Zug auf der Strecke Stralsund – Berlin, der plötzlich zehn Meter unterm Kiel durch den Tunnel donnert.
Wir queren das Berlin-Eberswalder Urstromtal
Den Kanal säumt jetzt nur noch eine Wand aus schier undurchdringlichem Kiefernwald. Der gedeiht prächtig auf Brandenburgs trockener „Streusandbüchse”. „So stell’ ich mir eine Amazonas-Fahrt vor”, träumt jemand laut. Aus „Klein-Holland” gleiten wir übergangslos in den „brasilianischen Dschungel”.
Zeit für die Abschieds-Gala: Der bulgarische Chef hat gemeinsam mit seinem Team kulinarische Highlights in der Mini-Kombüse gezaubert: Gänseleberpastete an Portweingelee; doppelte Kraftbrühe mit Morcheln; Lachsstrudel auf roten Nudeln, drapiert mit Safransauce; feines Rinderfilet an Cognacsauce, angerichtet mit Kartoffelgratin und Minaretkohl gefüllter Tomate; Brüsseler Endivien mit Schinken; Dessert „Krönung”; belgische Pralinen; Napoléon. Schon beim Lesen der Karte läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Im Licht ihrer beiden Suchscheinwerfer tastet sich KATHARINA auf dem Oder-Havel-Kanal entlang. Die Szenerie wirkt mystisch, die Luft duftet harzig nach einem Regenschauer.
Der Schleusenwärter von Lehnitz bei Oranienburg gibt kurz vor Schichtende noch grünes Licht für die Sieben-Meter-Absenkung auf Havel-Niveau. Bei der Schleusen-Ausfahrt tropft es vom hochgezogenen Tor: eine unplanmäßige Taufe mit Havel-Wasser. Dann ist endlich Feierabend an den Pfählen im Lehnitz-See. Kapitän Volker Rümmler gönnt sich noch ein kühles Helles und taucht dann ab in seine Kabine, denn morgen muss er wieder früh raus und auf die Brücke.
Entlang der früheren Staatsgrenze West
Hennigsdorf glänzt bei Sonnenaufgang mit Geschwindigkeit: nagelneue ICE- und andere Züge aus der traditionsreichen Borsig-Lokomotivschmiede warten neben dem Kanal auf ihren schnellen Einsatz. Und über die Brücken des Autobahnrings brettern Blechkolonnen. „Rein jar nischt kriegen se mit.” meint eine Berlinerin kopfschüttelnd und lobt die beschauliche Langsamkeit „ihres Dampfers”. Die „Herren der Schöpfung” delektieren sich derweil an sparsam bekleideten „Gänseblümchen”. Die „sprießen” bikiniknapp auf gelb leuchtenden Traumstränden – dort, wo märkischer Sand von seinen Kiefern entblößt worden ist. Ein beleibter Petri-Jünger wärmt seine Rundungen genüsslich in der Sonne. „Dir hat der Arzt wohl Sport verordnet.” ruft jemand hinüber und alle lachen. Dicht an dicht aufgereihte Laubenpieper-Hütten gewähren intime Einblicke in sonntägliche Frühstücks-Idyllen. Die Gartenbewegung hatte hier in den zwanziger Jahren ihren Ursprung und nennt sich heute wie damals „Eden”.
Als der aus DDR-Zeiten übrig gebliebene Wachtturm bei Niederneuendorf in Sicht kommt, werden bei einem Passagier Erinnerungen wach: „Da musste ich als junger Bengel dienen. Zur Marine ließ man mich nicht”. Er meint seine damalige Einheit, die mit ihren schnellen Booten die „Staatsgrenze West” auf dem Wasser „schützte”. Zum „Trost” für ihn: in Marine-Uniform. Neben der Einfahrt in den Oder-Havel-Kanal bei Hennigsdorf deuten noch versenkte Schleppkähne darauf hin, dass das Ufer des Sees, der an den Berliner Stadtteil Heiligensee grenzt, bis zur Wende blockiert war.
Wie Ziethen aus dem Busch
Eingerahmt von Instrumenten, Monitoren und Radargerät hockt Volker Rümmler an seinem Fahrpult. Tegeler See und Oberhavel mit ihren Inseln, Bootsanlegern und Fähren verlangen Konzentration. Das Frühstück erledigt er so nebenbei. Doreen informiert inzwischen ihre Gäste bei Brötchen und Kaffee: „Wie Sie sicher schon bemerkt haben, meine Damen und Herren: Nur wenige Weltstädte haben ein so ausgedehntes wasserreiches Netz von Seen, Flüssen und Kanälen wie Berlin. Die Havel ist nach der Spree der zweitwichtigste natürliche Wasserlauf der Stadt. Wegen ihrer zahlreichen seenartigen Erweiterungen nannte man den Fluss altnorddeutsch ’Haf’, was soviel wie See bedeutet.” Wir hören weiter, dass der von 1909 bis 1914 gebaute 56 Kilometer lange Oder-Havel-Kanal, in den wir einlaufen, früher die wichtigste Großschifffahrtsverbindung zwischen Berlin und Stettin war. Joachim Schramm und Volker Rümmler kennen das Revier wie ihre Westentasche und so manche Anekdote aus ihrer Zeit als Frachtschiffs-Kapitäne. Einst beförderten sie hier hunderttausende von Ladungstonnen für die volkseigene Wirtschaft. Die Kollegen von damals dieseln mit Schubverbänden vorbei und grüßen nach oben.
Berlin-Tegels Hochhaus-Skyline duckt sich bald hinter der hohen Kiefernkulisse. Im Wald versteckt das weiße Schinkel-Schloss von Alexander und Wilhelm von Humboldt, einst kurfürstlicher Jagdsitz. „Das berühmte Brüderpaar”, schreibt Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg”, das diesem Fleckchen märkischen Sand auf Jahrhunderte hin eine Bedeutung leihen und es zur Pilgerstätte für Tausende machen sollte, ruht dort gemeinschaftlich zu Füßen einer granitenen Säule, von deren Höhe die Gestalt der ‚Hoffnung’ auf die beiden herniederblickt”.
Das idyllische Forsthaus nebenan ist sogar in einem Vers von Goethes „Faust” verewigt: „…das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel, Wir sind so klug, und dennoch spukt’s in Tegel”. Bei Nacht und Käuzchen-Schreien sicherlich. Ein Leichtes, sich in dem ausgedehnten Waldgebiet zu verlaufen.
In einem Punkt jedoch gleicht die hinter uns liegende Strecke den Abenteuerreisen Alexander von Humboldts vor 200 Jahren: der Geschwindigkeit. Erlaubt sind zwischen neun und zwölf Kilometer Schleichfahrt. Am Ufer lauern nämlich manchmal auch „Wegelagerer”: Wasserschutzpolizisten mit Blitzgerät auf der Jagd nach Temposündern – wie „Ziethen aus dem Busch”, kommentiert Volker Remmler. Da braucht’s denn schon fünf Tagesreisen von der rund 300 Kilometer entfernten Ostsee bis hierher.
Eigenheiten der Wassermänner
Berlin – Stadt zwischen Flüssen und Seen, Stadt der Brücken (keine europäische Metropole bietet mehr, nicht einmal Venedig oder Amsterdam!) und Kanäle, Stadt der wasserfreudigsten Menschen. Der Autor befuhr sie einst als „Spree-Havel-Traumschiff-Kapitän”.
Schon vor 100 Jahren hieß es in der Wiener „Neuen Freien Presse”: „Der Berliner ist aber ein wahrer Wassermann, und wie versteht es der Berliner, dieses sein ureigenstes Element in allen möglichen Weisen für sich nutzbar zu machen!”
Wer nach Berlin kommt, nimmt die Spree nicht für voll, hat allenfalls vom Wannsee gehört und denkt dabei an einen populären Badeteich. „Pack die Badehose ein!”, besang das einst Cornelia Froboess. Diese Gewässer verwöhnen die vielgeplagte Stadt in der märkischen Streusandbüchse mit einer Landschaft, deren Vielfalt ihres gleichen sucht. Von den 891 Quadratkilometern Berlins sind 160 oder 18 Prozent Wald, 53 oder sechs Prozent Gewässer. Das macht ihr so leicht keine Stadt nach.
Eine Dampferfahrt über Flüsse, Kanäle und Seen gehört von jeher zu Berlin wie Molle, Korn oder Berliner Weiße. An dieser Tradition hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Berlin per Schiff – im Volksmund traditionsgemäß als „Dampfer” bezeichnet – zu durchstreifen, ein echtes Erlebnis! Hier sieht man nicht nur vor lauter Uferwald die Bäume nicht. Er kommt auch an Schlössern und einer mächtigen Burg vorüber, ohne die Stadtgrenze zu streifen. Langweilig wird die Fahrt nicht. Dazu wechselt der Kurs zu oft, folgt den gegliederten Ufern in schilfbewachsene Buchten, wo Haubentaucher ihr Revier haben.
Vom Oberdeck beguckt sich das in angenehmer Gemütlichkeit. Die eine lässt sich das zweite Stück Torte im Kaffeedeck schmecken, der andere nimmt noch ein Bier. Schließlich steht er nicht am Ruder. Und wannseekrank ist auch noch keiner geworden, jedenfalls nicht von den Wellen.
Sieben Inseln gliedern den Tegeler See und geben ihm ein ganz eigenes Gepräge. Bei Tegelort konnten in den Ufergaststätten vor dem Krieg Familien Kaffee kochen. Auch so eine berlinische Eigenheit. Die Südspitze des Vororts formt eine per Fähre verbundene Havelenge.
Zwei Neubau-Brücken überspannen den Spandauer See. Hohe Speichergebäude weisen an Steuerbord auf den Hafen hin. Immerhin war der am 12. Oktober 1973 Schauplatz einer ungewöhnlichen Premiere, als das seegehende Motorgüterschiff CARGO-LINER I getauft wurde. Dessen Heimathafen war die Binneninsel Berlin, die damit Seehafen wurde. Die Flotte wuchs auf sieben Schwesterschiffe an und verband die Stadt mit den großen und kleinen Häfen der Welt.
Märkische Heide, märkischer Sand
Vor der Eiswerderbrücke wird über den Deckslautsprecher gewarnt: „Bitte unbedingt Sitzenbleiben und die Köpfe einziehen, der Wasserstand ist hoch” Nur eine Spanne Luft zwischen Reling und Brückenträgern. Im gleichen Moment zieht ein Jet, gestartet auf dem Flughafen Tegel, im Steilflug donnernd über die Passagiere hinweg. Am Spandauer Ufer trocknen Netze. Ein Fischer, letzter seiner Zunft, bietet auf einer Tafel Aal, Zander und Plötze an, frisch und geräuchert. An Steuerbord das Idyll der Spandauer Wasserstadt mit Kanälen und historischen Gebäuden, alles überragt von der Spandauer Nikolaikirche aus dem 14. Jahrhundert. Die Bezirksstadt lokalisiert sich im Übrigen gern als „bei Berlin gelegen”.
Gegenüber der Schleuse Spandau – sie war wie alle anderen Schleusen bis zur Wende „Territorium der DDR”, weil von Ost-Berlin aus verwaltet – macht sich die mauerbewehrte Zitadelle breit. An Backbord mündet gleich hinter der Juliusturmbrücke nach 380 Kilometern die Spree ein. Ihr Wasser heißt jetzt Havel, die es insgesamt auf „nur” 334 Kilometer bringt. Aber sie wurde 2004 zur „Flusslandschaft des Jahres” gekürt. Das alles gehört zur Bundeswasserstraße HOW, wie die Havel-Oder-Wasserstraße kurz genannt wird.
Einfahrt in die kanalisierte Havel. Gleich drei Mal steht hier der Kilometer null: für Ober- und Unterhavel sowie für die Spree. Ein Stück aufwärts liegt im alten Spreearm die letzte größere Werft Berlins: die Deutschen Industriewerke Spandau. Polnische Schubverbände aus Bromberg oder Stettin passieren mit schlesischer Kohle. Berlins Energie aus dem Osten. Dischinger- und Schulenburgbrücke: Brücken, Brücken – diese Stadt hat rund 900 – mehr als fast jede andere Stadt in Europa. Die flachgelegte Reedereiflagge verbeugt sich davor. Wenig später an Backbord Tiefwerder, von Laubenhäuschen, Kleingärten und schmalen Kanälchen durchzogen. „Klein Venedig” heißt das Wasserlabyrinth bei den Berlinern.
Zwei Leuchtfeuer markieren Minuten später die kanalisierte Ausfahrt – Pichelswerder Gmünd genannt – in die hier über einen Kilometer breite Unterhavel mit ihrer typisch märkischen Landschaft: weiße Strände und von Kiefern bewaldete Haveldünen. Von der Großstadt Berlin ist hier nichts mehr zu spüren. Jemand von den Oberdecks-Gästen kann sich bruchstückhaft an die erste Strophe des Brandenburg-Lieds erinnern: „Märkische Heide, Märkischer Sand sind des Märkers Freude, sind sein Heimatland … hoch über Sumpf und Sand, hoch über dunkle Kiefernwälder …”
„Das ist die Scharfe Lanke”, erklärt Doreen und meint die Bucht an Steuerbord, „und rechts auf dem Pichelswerder wurde 1815 die PRINZESSIN VON PREUSSEN auf Kiel gelegt, das erste deutsche Dampfschiff.
Kurz darauf ein Schicksalsort der Geschichte an Backbord: die Halbinsel Schildhorn. Hier soll der letzte Wendenfürst, Jaczo, verfolgt von Albrecht dem Bären, mit seinem Pferd durch die Havel geflohen sein. Als das Pferd in der Flut versank, soll er „Hilf mir, o Christengott!” gerufen haben. Sein Ruf fand Gehör. Zum Zeichen seiner Unterwerfung hängte er seinen Schild an eine Eiche. Das Denkmal erinnert daran. „Übrigens”, erklärt Doreen, „tragen sämtliche vorspringenden Ecken dieser Seenkette die Bezeichnung ‚Horn’ wie auch das Kuhhorn, das jetzt in Sicht kommt”.
Trocknen Fußes über die Havel
Steuerbord – Villa Lemm, der einstige Wohnsitz des britischen Stadtkommandanten. Vor uns das „Große Fenster”, linker Hand, über dem Wald, der 56 Meter hohe Grunewaldturm, vormals Kaiser-Wilhelm-Turm mit Havelpanorama total. Er wurde 1897/98 zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. erbaut. Berliner Skipper, so weiß Erich Wolter, haben eine besondere Beziehung zu dem Turm: „Immer, wenn man vom Wasser aus durch die gegenüber liegenden Turmfenster sehen kann, gibt’s an Bord einen Schluck – natürlich nur für die Mitfahrer”.
An Lindwerder und Schwanenwerder vorbei, Segelboote wie weiße Schmetterlinge auf einem Spiegel. „An schönen Sonntagen”, sagt Kapitän Schramm, „da stehste wie vor einer weißen Wand und könntest trockenen Fußes ’rüberlaufen”.
Oberhalb von Kälberwerder, zwischen Kladow im Norden, der noblen Insel Schwanenwerder im Nordosten und Wannsee im Süden, scheint die Havel zum Meer zu werden. „Große Breite” heißt sie daher folgerichtig und präsentiert sich vier Kilometer breit.
Strandbad Wannsee am „Haus-See der Berliner” querab an Backbord. Menschenameisen tummeln sich im Wasser und am gelben Lido-Strand wie eh und je – ob mit oder ohne „Schwesterlein”, wie Cornelia Froboess einst singend empfahl. „Der Sand übrigens”, ergänzt Volker Rümmler, „ist extra von der Ostsee herangekarrt worden”.
Die hohe Turmnadel, die den Wald an Backbord überragt, ist der Fernmeldeturm auf dem Schäferberg. Telefon, Fernsehen – ehemals Berlins Verbindung zur Welt. Hier, nördlich von Potsdam, zeigen sich die Berliner Gewässer von ihrer schönsten Seite. Vier Kilometer Kurs Südwest und vorbei an der Pfaueninsel. Einen Quadratkilometer ist die Insel groß, die früher Kaninchenwerder hieß und „eine absolute Wildnis” war, wie Fontane bemerkte. Nach ihrer Umgestaltung ist sie bis heute eine Mischung aus tropischem Urwald und englischer Parklandschaft geblieben.
Fontane begeisterte sich dafür: „Pfaueninsel! Wie ein Märchen steigt ein Bild aus Kindertagen vor mir auf: ein Schloss, Palmen und Kängurus; Papageien kreischen; Pfauen sitzen auf hoher Stange oder schlagen ein Rad, Volieren, Springbrunnen, überschattete Wiesen; Schlängelpfade, die überall hinführen und nirgends; ein rätselvolles Eiland, eine Oase, ein Blumenteppich inmitten der Mark”.
Weithin sichtbares Wahrzeichen ist das romantische weiße Schlösschen, Schauplatz vieler Filme. Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. ließ es 1794 bis 1797 als Lustschloss für seine langjährige Mätresse, die Gräfin Lichtenau, nach ihren eigenen Entwürfen von Baumeister Brendel errichten lassen – mit einer „Liebesbrücke” zwischen den Türmen.
Er ließ auch die königliche Menagerie anlegen, einen der ersten zoologischen Gärten Europas. Die Bären, Lamas und Kängurus wurden aber auf Rat von Alexander von Humboldt 1842 in die Stadt übersiedelt. Im Süden der Insel liegt der von Schinkel erbaute Fregattenschuppen. In dem war der Dreimaster ROYAL LOUISE untergebracht, ein Geschenk des englischen Königs. Heute segelt ein Nachbau über die Havel, den sogar „Bürgerliche” für „Lustfahrten” chartern können. „Eine Fahrt nach der Pfaueninsel”, zitiert Fontane seinen Zeitgenossen Kopisch 1852, „galt als das schönste Familienfest des Jahres”.
Zu Besuch beim Alten Fritz
KATHARINA VON BORA steuert in den Jungfernsee ein, der Teil des natürlichen Havellaufs zwischen Berlin und Potsdam ist. Hier endet die Untere Havelwasserstraße. Von den bewaldeten Havelhöhen von Nikolskoe an Backbord grüßt die Kirche Peter und Paul herab, die als Miniaturausgabe der St. Petersburger Kathedrale gilt. Stündlich lassen ihre Glocken die Melodie „Üb’ immer Treu und Redlichkeit” erklingen. Ihren Bau von 1834 bis 1837 hatte Zarin Alexandra Fedorowna angeregt. Sie war die Tochter Friedrich Wilhelm III. und wurde 1817 vom Großfürsten Nikolaus, dem späteren Zaren, geheiratet. Das Blockhaus Nikolskoe, eine traditionsreiche Gaststätte, wurde 1819 gebaut, als das russische Herrscherpaar Berlin besuchte.
Vorher wird noch die idyllische Bucht Moorlake an Backbord liegengelassen – hier verlief bis zur Wende die scharf bewachte Zonengrenze – während Steuerbord voraus die Landspitze Krughorn mit der restaurierten Heilandskirche von Sacrow auftaucht. Gebaut wurde sie zwischen 1841 und 1842 vom Schinkel-Schüler Persius.
An Steuerbord voraus Potsdam-Cecilienhof. Das Schloss ist ein touristischer Magnet. Man kann sich hier nicht nur die Wohnräume des letzten Kronprinzenpaares anschauen, sondern auch eine Ausstellung über die Potsdamer Konferenz der Siegermächte von 1945.
Nach dem Wenden zeigt der Steven jetzt nach Osten, direkt auf das Jagdschloss Glienicke. Bis Oleg nach Steuerbord dreht und unter der geschichtsträchtigen Glienicker Brücke hindurch in den Tiefen See, erstes Teilstück der Potsdamer Havel, einläuft.
Auf der ehemaligen Grenzbrücke zwischen West-Berlin und der DDR tauschten die Westalliierten einige Male Spione mit der Sowjetunion aus. Sie wurde von den Kommunisten zwar „Brücke der Einheit” genannt, aber war das genaue Gegenteil davon.
Nachdem KATHARINA die Parade der noblen Potsdamer Villen abgenommen hat – irgendwo wohnen hier auch gut abgeschirmt Moderator und Potsdam-Mäzen Günter Jauch sowie Modeschöpfer Wolfgang Joop –, passiert sie an Steuerbord den modernen roten Theaterneubau, der ein bisschen an das Opera House von Sidney erinnert. Gleich dahinter zwei kuriose, kleine Schilder. Eins weist nach links mit der Aufschrift NORDSEE, eins nach rechts sagt, dass es dort in Richtung OSTSEE geht.
Im Zentrum der beeindruckend glanzvollen brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam wird nahe der Langenbrücke zum Finale angelegt. Von weitem grüßen der kupfergrüne Kuppelbau der Nikolaikirche und das rote Stadtschloss, in dem die Landesregierung tagt.
Friedrichs des Großen Schloss Sans Souci liegt nicht am Wasser, entzieht sich daher den Blicken der Havel-Seenfahrer und ist einen gesonderten Landgang wert. Die Sommerresidenz des „Alten Fritz” mit ihren Terrassengärten, von Wein- und Feigenstauden umkränzt, zieht die Gäste geradezu magisch an. Am Eingang empfängt ein preußisch uniformierter Flötist die Gruppe stilecht mit einem von seiner Majestät höchstselbst komponierten Stück. Der Preußenkönig wird es, so er könnte, in seiner von Dankes-Kartoffeln bedeckten Gruft – er führte schließlich die hungerstillende Erdfrucht in Deutschland ein – neben dem Schloss mit Wohlwollen vermerkt haben.
Müde von so vielen Eindrücken am letzten Tag, wiegen einem die an der Bordwand leise glucksenden Havel-Wellen in den Schlaf. Mit Traumerlebnissen von einer Nach-Wende-Reise, wie sie davor niemals möglich gewesen wäre: vom Ostseestrand ins Havelland.
Informationen
MS KATHARINA VON BORA; Baujahr: 2000; Schwesterschiff: FREDERIC CHOPIN (2003); Bauwerft: Schiffswerft Tangermünde; Typ: Kabinenschiff; Länge: 83 m; Breite: 9,50 m; Tiefgang: 1,10 m; Tonnage: 1000 t; Antrieb: 3 x 350 PS-Dieselmotoren; Geschwindigkeit (maximal): 18 km/h; Veranstalter: nicko cruises, Stuttgart; Eigner: Mystic Invest, Portugal; Flagge: Schweiz; Heimathafen: Basel; Decks: 3 (Sonnendeck mit Dach); Kabinengröße: 11 bis 12 qm (Zweibettkabinen – Oberdeck mit französischem Balkon; Dusche/WC, Föhn, Klimaanlage, Minikühlschrank, Fön, SAT-TV, Safe, Telefon, Wäscheservice); Passagiere: 80; Crew: 21; Restaurant (1 Tischzeit und Büffet im Salon); Panorama-Salon; Bar; Bordshop.
Route der achttägigen 500-Kilometer-Reise: Stralsund-Hiddensee-Lauterbach/Rügen-Greifswald-Wieck-Peenemünde/Usedom-Wolgast-Stettin-Niederfienow-Eberswalde/Chorin-Berlin-Potsdam.
Route und Position sind gut zu verfolgen mit www.marinetraffic.com · www.nicko-cruises.de · Reisezeit: Frühsommer bis Herbst.
MS KATHARINA VON BORA läuft in Stralsund ein, rechts das Ozeaneum.
Das historische Segelschulschiff GORCH FOCK (I) vom Sonnendeck aus gesehen.
Wanderung zum Leuchtturm auf dem Hiddenseeer Dornbusch.
Weiter Blick vom Dornbusch auf den Enddorn-Sandhaken im Nordosten von Hiddensee – im Hintergrund Rügen.
Am weiten Dünenstrand von Vitte auf Hiddensee.
Das ehemalige Haus „Karusel” der dänischen Vorkriegs-Schauspielerin Asta Nielsen in Vitte/Hiddensee. Kapitän Joachim Schramm (hinten), Kreuzfahrtdirektorin Doreen Göhler und ein Matrose erwarten die Gäste in Vitte/Hiddensee.
Der Hafen von Lauterbach auf Rügen aus der Vogelperspektive.
Wolkenspiegelungen am Strand der 15 Kilometer langen Schaabe-Halbinsel von Rügen.
Der schon legendäre Dampfzug „Rasender Roland” abfahrbereit im Bahnhof Putbus/Rügen.
Kapitän Joachim Schramm beobachtet den Flohmarkt auf der Pier in Lauterbach/Rügen.
Gelungen restaurierte Bürgerhäuser am Greifswalder Markt mit dem Turm der Marienkirche.
Töpfer bieten ihre Ware auf dem Markt von Greifswald an.
Sonnenbad auf der Pier im Greifswalder Museumshafen am Flüsschen Ryck.
Die Seebrücke von Ahlbeck auf Usedom im Flaggenschmuck.
Buntes Strandleben zwischen Ahlbeck und Heringsdorf.
Das renommierte Hotel „Ahlbecker Hof” im traditionellen Bäderstil.
Kaiser Wilhelm I. logierte 1820 erstmals in dieser Heringsdorfer Villa.
Die Seebrücke von Heringsdorf mit davor ankerndem Kreuzfahrtschiff MS ASTOR.
Der Stadthafen von Wolgast mit Großsegler WEISSE DÜNE und Museums-Dampffähre STRALSUND.
Blick vom Wolgaster Hafen auf die Altstadt.
Marinehochschule und Außenstelle des Nationalmuseums mit Hakenterrassen in Stettin.
Morgengymnastik von Schülerinnen auf den Hakenterrassen mit Schulschiff NAVIGATOR II.
Die Ausflugsgruppe auf den Hakenterrassen.
Eine Leserin genießt die Stille des Unteren Odertals bei Schwedt.
Der Stolper „Grütztopp”, ein Wachturm aus dem 11. Jahrhundert über dem Unteren Odertal.
Fahrt geht mitten durch den idyllischen Naturpark Unteres Odertal.
Der mit Segel- und Ausflugsbooten gefüllte Trog des derzeitigen Schiffshebewerks Niederfinow.
Der 2018 fertigzustellende Neubau des Schiffshebewerks Niederfinow.
Altes und neues (oben) Schiffshebewerk Niederfinow im grafischen Vergleich.