SeereisenMagazin Logo klein 347 65AIR CRUISE ANTARCTICA · AUSGABE 1/2019hr

19105 Antarctica Air Cruise 3881 Foto KastWo versteckt sich unser Kahn nur? Jenseits des 65. Breitengrades wird das Packeis immer dicker.
Fotos: Dr. Günter Kast, Herrsching (29) – Antarctica 21, Punta Arenas (3)

Dr. Günter Kast
Luftbrücke zu den Seeleoparden
Mit dem Flieger in die Antarktis ...

... und erst dort auf ein Expeditions-Schiff umsteigen – bis vor kurzem blieb dies den Forschern im ewigen Eis vorbehalten. Findige Unternehmer aus dem chilenischen Teil Patagoniens haben die Marktlücke erkannt – und geschlossen.

Wohl niemand würde behaupten wollen, die beiden südamerikanischen Staaten Chile und Argentinien verbände eine innige Freundschaft. Ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken mit einem gehörigen Schuss Nationalismus bestimmt die Beziehungen der Nachbarn. Im Süden des Kontinents, in Patagonien, ist der Wettstreit zwar weniger ausgeprägt. Dennoch war es den Chilenen ein Dorn im Auge, dass die Kleinstadt Ushuaia im argentinischen Teil Feuerlands mit dem Etikett „Südlichste Stadt der Welt” Furore machte und für die meisten Antarktis-Touristen das Tor zum Weißen Kontinent wurde. Das chilenische Dorf Puerto Williams mit seiner Marinebasis, ebenfalls am Beagle-Kanal gelegen, verharrte hingegen im Dornröschenschlaf.

Das missfiel auch dem Unternehmer Jaime Vásquez, der es weiter nördlich, in Chiles wichtigster Stadt in Patagonien, in Punta Arenas, zu Wohlstand und regionaler Bekanntheit gebracht hatte. Als Mitglied des Antarktis-Rates der Stadt an der Magellan-Straße hatte er schon immer ein Faible für das Land am Südpol und störte sich nicht nur an der Prominenz Ushuaias, sondern auch daran, dass das Gros der ständig wachsenden Zahl von Antarktistouristen die Kreuzfahrten ins Eis bei US-amerikanischen und europäischen Veranstaltern buchte. „Wo wir hier in Patagonien die Eisberge praktisch vor der Nase haben”, wie er im Gespräch scherzend anmerkt.

Nun ja, „praktisch vor der Nase” stimmt nicht ganz. Zwischen Kap Hoorn an der Spitze Südamerikas und der Antarktischen Halbinsel wartet auf Kreuzfahrt-Touristen die berüchtigte Drake-Passage. Jene Meeresstraße mit den haushohen Wellenbergen, die zumindest die Passagiere kleinerer Schiffe ohne Stabilisatoren tagelang Fische-fütternd über der Reling hängen lässt, ehe sie ihr Traumziel am südlichen Polarkreis meist ziemlich mitgenommen erreichen und plötzlich doch keine Yacht mehr kaufen wollen. Dabei sind es gerade die kleineren Kähne, die mit ihrem geringeren Tiefgang auch kleine, versteckte Buchten ansteuern können, und die unvergessliche Tierbeobachtungen erlauben, ohne sich einen Pinguin mit 400 anderen Hobbyfotografen teilen zu müssen.

Vásquez wusste das alles, als er sich vor zwölf Jahren mit seinem Freund Jorge Jordan zu einem Pisco Sour zusammensetzte – dem Nationalgetränk aus Traubenschnaps, Eiweiß und Limettensaft. „Regt das Denken an”, erklärt Vásquez. Nach dem dritten Glas wurden sie übermütig: Sie wollten nicht nur das erste chilenische Reiseunternehmen gründen, das Antarktistouren anbietet. Sie wollten auch der erste Anbieter sein, der seinen Gästen die tagelange Seekrankheit in der Drake-Passage erspart – indem die Gäste mit dem Flugzeug dem Weißen Kontinent entgegen schweben.

Das war dann doch eine sehr ambitionierte Idee. Es gab zwar immer mal wieder Flüge gen Süden, um Forschungsstationen zu versorgen. Doch diese waren von den Launen des Wetters abhängig und die Landungen auf eigens dafür präparierten Eispisten ein Vabanquespiel. „Touristen nicht zuzumuten und für die Flugsicherung ein Alptraum”, erklärt Vásquez. „Trotzdem hatten wir das Gefühl, alle Zutaten zu haben, um die Idee in die Praxis umzusetzen.” Da war zum einen die chilenische Forschungsstation Eduardo Frei Montalva auf King George Island. Das Eiland, das zu den Südlichen Shetlandinseln gehört, die nur von der Bransfieldstraße von der Antarktischen Halbinsel getrennt sind, ist zwar zu 98 Prozent von Schnee und Gletschern bedeckt. Doch auf den verbleibenden zwei Prozent ist genug Platz für eine rustikale Start- und Landebahn, die von den Chilenen und anderen Ländern, die hier Stationen unterhalten, auch gelegentlich für Versorgungsflüge mit Militärtransportern genutzt wurde. Als Spezialist für diese Flüge hatte sich die patagonische Gesellschaft Aerovías DAP einen Namen gemacht.

Deren Gesellschafter waren mit den Familien Vásquez und Jordan bestens bekannt – es erwies sich mal wieder als Vorteil, dass im Süden Chiles deutlich mehr Schafe als Menschen leben und jeder jeden kennt. Apropos Schafe: Ein Tourismusunternehmen aus der Taufe zu heben, kostet viel Geld. Und da traf es sich gut, dass auch Nicolas Simunovic von der Idee einer antarktischen „Air-Cruise” begeistert war: Dem von kroatischen Auswanderern abstammenden Unternehmer gehört mit der Estancia Cerro Guido – mit Blick auf den weltberühmten Nationalpark Torres del Paine – eine der größten Schaffarmen des Landes. Das Fleisch der Tiere lässt er in seiner Fabrik in Punta Arenas gleich weiterverarbeiten.

„Wir hatten eine gute Idee und den finanziellen Background, aber keine Ahnung vom Reisegeschäft”, sagt Vásquez und lacht. Tatsächlich hatten sie auch die Unterstützung der Politik, denn es war durchaus ein nationales Anliegen, mit einer regelmäßigen Flugverbindung in die Antarktis die Präsenz auf dem rohstoffreichen Kontinent zu unterstreichen – auch wenn sich die Unterzeichner des Antarktis-Vertrages, darunter Chile, verpflichtet haben, während dessen Laufzeit auf territoriale Ansprüche zu verzichten.

Die folgende Zeit verlief arbeitsreich. Die Gründer von „Antarctica XXI” – die römische Zahl steht für das 21. Jahrhundert, sie soll das visionäre und neuartige Konzept unterstreichen – nahmen mit europäischen Reedern Kontakt auf, um ein passendes Schiff zu finden: Es musste eistauglich sein und sollte nicht mehr als 50 bis 60 Passagieren Platz bieten, um sich von den Kreuzfahrt-Riesen der amerikanischen und europäischen Konkurrenz abzuheben. Luxus an Bord war nicht vorgesehen; das Produkt sollte als Expedition, nicht als Kreuzfahrt verkauft werden. Parallel dazu überzeugten sie die chilenischen Umweltschutzbehörden von ihrem Konzept und gaben Studien in Auftrag, die die ökologischen Auswirkungen der geplanten „Air-Cruise” erfassten. Dies war ohnehin notwendig, denn auch die International Association of Antarctica Tour Operators, die IAATO, verlangt solche Nachweise von ihren Mitgliedern. In der IAATO sind all’ jene Reiseunternehmen versammelt, die sich einem umweltbewussten und nachhaltigen Antarktis-Tourismus verpflichtet haben. „Die haben unser Konzept sehr genau unter die Lupe genommen”, erinnert sich Jaime Vásquez. „Aber am Ende bekamen wir grünes Licht. Und waren damit das erste chilenische IAATA-Mitglied und gleichzeitig der erste chilenische Veranstalter von Antarktisreisen.”

Noch dazu ein Veranstalter mit einem außergewöhnlichen Alleinstellungsmerkmal: In der antarktischen Sommersaison 2003/04 – dem europäischen Winter – startete die erste Maschine mit 44 Passagieren an Bord von Punta Arenas nach King George Island. Dort warteten an einem nahegelegenen Küstenabschnitt zwischen Pinguinen und Robben Zodiacs, stabile Schlauchboote mit Außenbordmotor, die die Gäste zum Schiff brachten, das in einer geschützten Bucht ankerte. Das klingt wenig spektakulär, doch bei schwerem Seegang ist selbst diese Überfahrt ein Abenteuer.

Alles verlief nach Plan auf der Jungfernfahrt. Der Kapitän des Schiffes zeigte den Touristen sechs Tage lang die Höhepunkte der Antarktischen Halbinsel und ankerte in Buchten, in denen es für Ozeanriesen heißt: „Wir müssen draußen bleiben.” Mit den Zodiacs, die in wenigen Minuten per Kran auf dem Wasser und damit einsatzbereit waren, konnten die Gäste mit gefütterten Gummistiefeln und Schwimmwesten an Land gehen und Wanderungen unternehmen. Sie sollten das Gefühl haben, wirklich an einer Expedition teilzunehmen. Am Ende der Tour wartete auf King George Island wieder eine Militärmaschine mit Spezialfahrwerk, aus deren Bauch gerade die nächste Gruppe Touristen in bester „Special-Forces”-Manier krabbelte. Niemand war blass, weil er die zwei- bis dreitätige Achterbahnfahrt durch die Drake-Passage gerade hinter sich oder noch vor sich hatte.

Jede Saison finden nun gut ein Dutzend Touren statt, gehen einige Hundert Touristen aus aller Welt auf „Air-Cruise”. Es ist ein gemischtes, internationales Publikum. Gesprochen wird mal Englisch, mal spanisch, oder auch mal Deutsch – je nachdem, welche Nation die Mehrheit der Gäste stellt. Da sind zum Beispiel Andris und Uldris. Die beiden Letten aus der Hauptstadt Riga erfüllen alle Klischees: Sie sprechen wenig und saunieren häufig, gerne auch bei Temperaturen jenseits der 100-Grad-Grenze. Sie haben beide – noch zu UdSSR-Zeiten – eine Firma aufgebaut, die Heizungs- und Sanitärausrüster wie das deutsche Unternehmen Viessmann beliefert. Es gibt kaum einen Winkel der Erde, den die beiden nicht bereist hätten: Ihre Geländewagen haben sie durch ganz Afrika gesteuert, mit dem Kanu befuhren sie den zufrierenden Stikine River im Norden Kanadas – im November! Den Trip haben sie mit knapper Not überlebt, und als Beweis für die bestandene Mutprobe drücken sie jedem an Bord eine DVD in die Hand.

Dann ist da Pepe, Doktor der Medizin aus Madrid. Vor genau einem Jahr war seine Schwiegermutter gestorben und er wollte seine Frau angesichts des nahenden Todestages unbedingt ablenken. Er buchte den Antarktis-Trip – und rief erst hinterher Sohn Rodrigo und die in Oslo lebende Tochter Marta an. „Hola, wir fahren in Urlaub, bitte haltet euch bereit”, verkündete er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Mike aus San Francisco ist mit seinen gerade einmal 23 Jahren definitiv einer der jüngeren Antarktis-Besucher. Mit 15, gleich nach dem Ende der Highschool, hatte er bei einem Software-Haus angeheuert. Drei Jahre später gründete er zusammen mit einem Partner in Seattle seine eigene Software-Firma, die bereits im ersten Monat ihres Bestehens Software für 250.000 US-Dollar verkaufte. Steve Jobs, damals noch Apple-Boss und bei guter Gesundheit, wurde auf den jungen Mann aufmerksam und holte ihn, der nie ein College von innen gesehen hat, mit 19 Jahren zu Apple. Dort hat Mike die Bedienoberfläche des iPhone maßgeblich mitentwickelt. Er ist zudem ein leidenschaftlicher Fotograf und hat ganz einfach beschlossen, seinen Jahresbonus den Pinguinen zu widmen.

Ruud hingegen, einer der vier Niederländer an Bord, hat hinter das Arbeitsleben bereits einen Haken gesetzt. Sein Siegelring gibt einen dezenten Hinweis auf ein altes holländisches Adelsgeschlecht. Der Vater fuhr als Kapitän zur See, er selbst verkaufte für eine Reederei Schiffe in alle Welt. Er ist also vom Fach und unterzieht Schiff und Crew einer kritischen Inspektion. Als er gut gelaunt und entspannt von einem längeren Besuch auf der Brücke zum Aperitivo in die Bar zurückkommt, sind die anderen Passagiere zuversichtlich, dass der Kapitän und sein Team auch im dichteren Treibeis alles im Griff haben werden.

Zu Beginn der Reise, beim Übersetzen mit den wackeligen Zodiacs zum Expeditions-Schiff, war da noch einige Skepsis vorhanden gewesen. „Es könnte nass werden”, hatte uns die Italienerin Diana Galimberti gewarnt, die das Air-Cruise-Konzept maßgeblich mit aufgebaut hat. Es war Wind aufgekommen, Schneekristalle kitzelten unsere Wangen, und die Wellen schlugen über die Bordwand der Boote. Doch Diana passte auf, dass bei der ersten Zodiac-Fahrt niemand baden ging. Mit traumwandlerischer Sicherheit balancierte sie im Zodiac, eine Hand am Motor, und gab Anweisungen.

Die gebürtige Florentinerin war ein wildes Mädchen, als sie 1984 ihr Sprachen-Diplom von der Universität Genf in der Tasche hatte. Sie beschloss, dass die Erde an der Spitze Südamerikas am spannendsten ist. Sie zog nach Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt im argentinischen Teil Feuerlands. Dort führte sie Touristen zu den windzerzausten Naturschönheiten Patagoniens, aber insgeheim wusste sie schon damals, dass sie ihre wahre Liebe noch weiter im Süden finden würde. 1988 begleitete sie erstmals Touristen auf einem Schiff der argentinischen Marine in die Antarktis. Später arbeitete sie als Guide und Lektorin auf großen Kreuzfahrtschiffen und schrieb einen der ersten Reiseführer über den sechsten Kontinent.

Doch irgendwann wurden ihr die großen Kreuzer mit bis zu 1.000 Gästen an Bord zu langweilig. Tauchte zum Beispiel in einer Bucht ein Wal vor dem Bug auf, konnte man nicht einfach die Zodiacs zu Wasser lassen und näher heranfahren. Auf der M/V OCEAN NOVA, die wir jetzt mit unseren Booten erreichen, geht das problemlos – für die maximal 68 Gäste stehen mehrere Zodiacs zur Verfügung, die in wenigen Minuten per Kran auf dem Wasser und damit einsatzbereit sind.

Zum Absacker in der Bord-Bar erzählt Diana eine Geschichte: Es war einmal eine Nymphe namens Kallisto, die Zeus ein Kind namens Arkas gebar. Aus Rache verwandelte Hera, Zeus’ Gattin, Kallisto und Arkas in Bären. Und so heißt der Bär auf griechisch „arktos”. Aber Heras Zorn war noch nicht gestillt. Zeus sorgte sich um das Leben der Nymphe und des gemeinsamen Sohnes und sandte die beiden deshalb in den Himmel, damit sie sich dort versteckten. Seitdem drehen sie sich als Großer und Kleiner Bär um den Polarstern. Die Arktis ist daher die Heimat der Bären. Und anti-arktos, wörtlich: der Gegensatz zur Arktis, das „Land ohne Bären”. Denn sie kommen in der Antarktis nicht vor. Das Land ohne Bären ist stattdessen das Land der Pinguine. Und die gibt es hier in verschiedenen Ausführungen: Kaiser- und Königspinguine sind die Medienstars, doch auf der Antarktischen Halbinsel bekommt man nur die kleineren Arten – Esels-, Zügel- und Adeliepinguine – zu sehen. Die sind weniger majestätisch, dafür aber umso lustiger.

Wenn die Eisberge in der Sonne glitzern, wissen wir gar nicht, wohin wir zuerst blicken sollen. Wir tauchen ein in eine Welt aus Eis, Wasser und Himmel. Eine Welt, die nur Weiß und Blau kennt und in der die Farbe Grün keinen Platz hat. Stundenlang schauen wir den Pinguinen zu, wie sie zum Strand watscheln, sich gegen angreifende Raubmöwen verteidigen und ihre Jungen füttern. Dazwischen staunen wir ehrfürchtig über die Dimensionen der Eisriesen, die an uns vorbeidriften. Eine junge Meeresbiologin aus Kanada begleitet uns und passt auf, dass wir den Pinguinen nicht zu nahe kommen. Wir sind hier schließlich nur zu Gast und wollen das sensible Ökosystem nicht stören. Die Biologin ist sich sicher, dass uns das gelingen wird. Eine Studie mit 800 Pinguinpaaren habe gezeigt, dass Touristen kein Stressfaktor seien und das Überleben der Jungen vor allem vom Nahrungsangebot und vom Wetter abhänge. Apropos Wetter: Die junge Frau liebt ihren Beruf über alles und hat nichts dagegen, ein halbes Jahr nonstop im ewigen Eis zu verbringen. „Bikini und Flip-Flops hab’ ich längst gegen Gummistiefel und Funktionsklamotten eingetauscht”, erzählt sie. Nur dass ihre Haut seit mittlerweile zehn Jahren kein richtiges Sonnenbad mehr abbekommen habe, das störe sie schon ein wenig …

In den folgenden Tagen zeigt uns Diana die faszinierendsten Plätze entlang der Antarktischen Halbinsel. Unter unserem Zodiac tauchen neugierige Minkwale hindurch, wir beobachten Seeleoparden auf der Jagd nach Pinguinen und ankern in traumhaften Buchten, die von kalbenden Gletschern fast vollständig eingerahmt werden. Neko Harbour ist so ein Ort. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt genießen wir die angenehm warme Sonne, doch auf die Idee, hier ein Bad zu nehmen, käme niemand. Genau das tat aber die US-Amerikanerin Lynne Cox: Sie durchschwamm im Jahr 2002 die gesamte Bucht – fast zwei Kilometer in 25 Minuten im 0,5 Grad Celsius kalten Wasser. Ihr Buch „Swimming to Antarctica” erschien 2004 und seither rätseln Wissenschaftler über diesen Rekord, der physiologisch kaum zu erklären ist, denn normale Menschen ereilt bei dieser Wassertemperatur binnen vier Minuten der Tod.

Ein anderer Besucher fühlte sich in Neko Harbour ganz offensichtlich weniger wohl als Lynne Cox: Früher befand sich hier eine argentinische Forschungsstation. Als deren Kommandant erfuhr, dass er eine weitere Saison in der Einsamkeit der Antarktis verbringen sollte, packte ihn die Verzweiflung. Er wartete auf das nächste Kreuzfahrtschiff und zündete die Station kurzerhand an, um der trostlosen Südpolarnacht zu entfliehen. Es ist eben ein himmelweiter Unterschied, ob man hier nur auf Stippvisite vorbeikommt, oder einen kompletten Sommer oder gar ein ganzes Jahr verbringt. Die Sommer-Bewohner der britischen Station Port Lockroy bestätigen das gerne. Die ehemalige Forschungsstation ist heute ein Museum, das sich durch den Verkauf von Souvenirs finanziert. Auch die großen Kreuzfahrtschiffe machen hier Halt – pro Tag dürfen maximal 350 „Expeditionsteilnehmer” an Land, davon nicht mehr als 60 auf einmal. Die Briten nehmen es mit dem ihnen eigenen Humor gelassen. „Wir sind gewissermaßen umzingelt”, schmunzelt eine junge Engländerin: „Hinter der Hütte lauern Gletscherspalten, vorne machen uns Pinguine und Touristen den Platz streitig.” Das ist keinesfalls übertrieben: Jeden freien Quadratzentimeter, der nicht eisbedeckt ist, haben die Vögel als Brutplatz reserviert. Die Pinguine hier bauen Nester aus Steinen und wenn sich ein Männchen bei seiner Herzdame mal so richtig beliebt machen will, dann bringt er ihr im Schnabel einen der seltenen und daher wertvollen Steine mit nach Hause.

Jede Nation scheint ihr eigenes Rezept zu haben, um den harschen Lebensbedingungen in der Antarktis zu trotzen. Diana kennt die Kommandanten der meisten Forschungsstationen, die uns gerne einladen – jede Abwechslung ist willkommen. Die ukrainische Vernadsky-Station jenseits des 65. Breitengrades markiert den südlichsten Punkt unserer Reise. Die 24 Sommer-Bewohner der Station erforschen die Ausdehnung des Ozonlochs über der Antarktis – wenn sie nicht gerade in der Faraday-Bar, der südlichsten Bar der Welt – mit selbstgebranntem Wodka anstoßen, oder Antarktis-Touristinnen auffordern, ihrer BH-Sammlung in der Bar ein weiteres Exemplar hinzuzufügen. Wir bringen Geschenke mit, auch unsere Crew kommt an Land, und im Nu haben wir die Station in eine formidable Russen-Disko umfunktioniert.

Antarctica-XXI-Unternehmer Jaime Vásquez freut sich, wenn er solche Geschichten hört. „Wir haben all’ diejenigen Lügen gestraft, die unsere Idee ‚verlockend, aber unmöglich’ genannt hatten”, erinnert er sich. „Die logistischen Herausforderungen sind zweifellos komplex, doch wir haben unser Konzept Jahr für Jahr perfektioniert. Das war uns wichtiger, als schnell zu wachsen.” Bis dato ist es keinem Veranstalter gelungen, das Konzept zu kopieren: Die wagemutigen Senores aus Punta Arenas bleiben bis auf weiteres der einzige Anbieter einer Air-Cruise zum Weißen Kontinent weltweit. „Wir stoßen darauf gelegentlich mit einem Pisco Sour an”, räumt Senor Vásquez ein. Und Senor Jordan ergänzt: „Auch einige Lämmer der Estancia Cerro Guido müssen dann daran glauben.”

Flugzeug & Schiff
Anfangs benutzten die Chilenen einen Hercules-Militär-Transporter. Inzwischen fliegen sie mit einer komfortableren BAE-146 von British Aerospace, die auch auf extrem kurzen Landebahnen aufsetzen und wieder starten kann. Geflogen wird die Maschine von Piloten der Aerovías DAP, die mehr als 20 Jahre Erfahrung mit Flügen in die Antarktis haben.

Die M/V OCEAN NOVA wurde 1992 in Dänemark gebaut. Sie war viele Jahre in den Gewässern rund um Grönland im Einsatz und bietet maximal 68 Passagieren Platz. Diese wohnen in relativ komfortablen Außenkabinen mit eigenem WC und Bad. Es gibt Kabinen speziell für Singles, Paare und Familien. Das Schiff verfügt ferner über eine Aussichts-Lounge zur Natur- und Tierbeobachtung, einen Vortragsraum, einen großen Speisesaal, eine Bar, eine Bibliothek und einen Erste-Hilfe-Raum. Für Landgänge und Tierbeobachtungen stehen Zodiacs zur Verfügung. Die Speisen sind in Ordnung, kulinarische Höhenflüge sollte man aber nicht erwarten. Sämtliche Getränke und auch die Bar-Rechnung sind im Preis inbegriffen.

Fakten: 38 Mann Besatzung, Länge: 73 Meter, Breite: 11 Meter, Eisklasse: 1B, EO (Hull Ice 1A), maximale Geschwindigkeit: 12 Knoten im offenen Wasser, Motor: 2000 PS, 2 Rettungsboote für insgesamt 90 Personen.

Praktische Informationen
Veranstalter: www.antarctica21.com, O'Higgins 1170, Punta Arenas, Chile, Telefon +56 (61) 2614100, Fax +56 (61) 2614105, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Beratung in Deutschland: POLARADVENTURES, Schiffs- und Flug-Expeditionen in Arktis und Antarktis, Heinrich-Böll-Straße 40, 21335 Lüneburg, Telefon 04131-223474, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.polaradventures.de – Es gibt Classic-Touren mit sieben Tagen und sechs Nächten an Bord, Express-Reisen mit fünf Tagen und vier Nächten sowie neuntägige Kreuzfahrten, bei denen der Polarkreis überquert wird, sofern es die Eisbedingungen und das Wetter zulassen. Größere Schiffe wagen sich in der Regel nie so weit in den Süden vor.

Anreise
Ausgangspunkt für Fly&Cruise-Touren in die Antarktis ist Punta Arenas im chilenischen Teil Patagoniens. Von Deutschland fliegt zum Beispiel die Swiss via Zürich nach Santiago de Chile; von dort weiter mit LAN. Es empfiehlt sich die Buchung über einen Lateinamerika-Spezialisten wie zum Beispiel Miller Reisen – www.miller-reisen.de.

Reisezeit und Klima
Winter in Europa = Sommer in der Antarktis; Auf der Antarktischen Halbinsel liegen die Temperaturen im Dezember um den Gefrierpunkt, Kälteeinbrüche und Schneestürme sind aber jederzeit möglich. Ins Gepäck gehören Wäsche aus Merinowolle zum Beispiel von Icebreaker, Funktionsbekleidung, Überhose, Mütze, Handschuhe, Sonnenschutz – und eine gute Kameraausrüstung.

Anschlussprogramme
Eine Air-Cruise dauert maximal neun Tage (ab/an Punta Arenas). Damit sich die lange Anreise in den Süden Patagoniens lohnt, unbedingt einen mehrtägigen Besuch im weltberühmten Nationalpark Torres del Paine einplanen, den man im Leihwagen in rund vier Stunden von Punta Arenas aus erreicht. Die Unterkünfte im Park sind häufig überlaufen, an dessen Grenzen gibt es jedoch echte Geheimtipps:
Empfehlenswert ist das luxuriöse Patagonia Camp am Lago del Toro. Übernachtet wird in komfortablen Zelten im Yurtenstil, die Haupt-Lodge bietet einen fantastischen Blick über den See. Täglich geführte Touren in den Park. E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.patagoniacamp.com
Die perfekte Ergänzung ist ein Aufenthalt auf der Estancia Cerro Guido. Zur Schaffarm (70.000 Schafe) gehört auch eine Lodge für Touristen in herrlicher Lage mit Blick auf die Torres del Paine. Man kann den Huasos beim Scheren der Schafe zusehen, Ausritte mit dem Pferd oder Touren in den Park unternehmen. E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.cerroguido.cl, Telefon +56 61 411818.

Literatur
Malte Sieber: Chile und die Osterinsel, Reise Know-How Verlag, 2007
Landkarte Chile im Maßstab 1:1.600.000, Reise Know How Verlag, 2008
David Mercy: Berserk – eine ungemütliche Reise in die Antarktis, marebuch, 2007
Erik Orsenna und Isabelle Autissier: Großer Süden: Eine Reise in die Welt der Antarktis, 2008, Verlag C.H. Beck
David McGonigal und Lynn Woodworth: Die Welt der Antarktis und der Arktis, Delius Klasing Verlag, 2008
Ann Bancroft und Liv Arnesen: Nur den Horizont im Blick – Zwei Frauen in der Antarktis, Frederking und Thaler Verlag, 2005
Christian Walther: Antarktis – Ein Reise-, Lese- und Informationsbuch über den Kontinent am Südpol, Conrad Stein Verlag, 2007

19105 OCEAN NOVA Foto Antarctica 21 Nicolas Gildemeister 14574Das derzeitige Schiff von Antarctica 21 ist die M/V OCEAN NOVA. Sie wurde 1992 in Dänemark gebaut. Sie war viele Jahre in den Gewässern rund um Grönland im Einsatz und bietet maximal 68 Passagieren Platz. Foto: Antarctica 21, Punta Arenas, Nicolas Gildemeister

19105 MAG EXPLORER Exterior 17898 Foto Antactica 21 Punta ArenasAb November 2019 wird die MAGELLAN EXPLORER von Antarctica 21 für diese Expeditionen eingesetzt.
Animation: Antarctica 21, Punta Arenas

19105 BAE 146 Foto Antarctica 21 Jonathan Zaccaria 8668Anfangs benutzte Antarctica 21 einen Hercules-Militär-Transporter. Inzwischen fliegen sie mit einer komfortableren BAE-146 von British Aerospace von Punta Arenas nach King George Island, die auch auf extrem kurzen Landebahnen aufsetzen und wieder starten kann. Foto: Antarctica 21, Jonathan Zaccaria

19105 Antarctica Air Cruise 3292 Foto KastAuf King George Island heißt es Einschiffen. Doch zuvor wird die orthodoxe Kirche besucht.

19105 Antarctica Air Cruise 3366 Foto Kast„Arturo Prat” heißt die Forschungsstation der Chilenen auf King George Island.

19105 Antarctica Air Cruise 3421 Foto KastMit den Zodiacs sind die Gäste schnell auf dem Wasser, wenn mal wieder Wal-Alarm ist.

19105 Antarctica Air Cruise 3447 Foto KastMöwen nutzen den kurzen antarktischen Sommer für die Aufzucht ihrer Küken.

19105 Antarctica Air Cruise 3508 Foto KastSurreal wirken die Eisberge im Licht der nie untergehenden Sonne.

19105 Antarctica Air Cruise 3546 Foto KastEisiger Kontinent in Sicht!

19105 Antarctica Air Cruise 3623 Foto KastWie von Künstlerhand geformt wirken die Eisgebilde im Ozean.

19105 Antarctica Air Cruise 3669 Foto KastPinguine passen gut auf ihre Brut auf. Die Kleinen werden sonst schnell Beute gefräßiger Möwen.

19105 Antarctica Air Cruise 3693 Foto KastPort Lockroy heißt der Naturhafen im Britischen Antarktisterritorium. Dort befindet sich auch die gleichnamige Station der britischen Forscher.

19105 Antarctica Air Cruise 3733 Foto KastGerade erst geschlüpft ... und schon hungrig.

19105 Antarctica Air Cruise 3796 Foto KastSo ein Wetter in der Antarktis ist wie ein Sechser mit Zusatzzahl im Lotto!

19105 Antarctica Air Cruise 3801 Foto KastSonnenbaden à la Antarktis. Eine Robbe macht vor, wie es geht.

19105 Antarctica Air Cruise 3834 Foto KastVor Anker in der Paradise Bay bei Traumbedingungen.

19105 Antarctica Air Cruise 3837 Foto KastEin Sturm hat diesen Eisberg auf Grund laufen lassen.

19105 Antarctica Air Cruise 3868 Foto KastBesser, man fällt nicht ins Wasser, wenn man in die Zodiacs steigt ...

19105 Antarctica Air Cruise 3901 Foto KastMut braucht, wer sich in solchem Segler in polare Regionen wagt.

19105 Antarctica Air Cruise 4013 Foto KastAchtung bissig! Dieser Seeleopard hat es auf Pinguine abgesehen.

19105 Antarctica Air Cruise 4211 Foto KastSeeleoparden haben ein riesiges Maul ... damit sie Pinguine besser schnappen können!

19105 Antarctica Air Cruise 4093 Foto KastEin Minkwal zeigt Flosse.

19105 Antarctica Air Cruise 4248 Foto KastIm Zodiac gehts durch die Eisschollen hindurch auf die Suche nach Walen und Robben.

19105 Antarctica Air Cruise 4291 Foto KastDiese Bucht ist für große Kreuzfahrtschiffe zu eng und das Wasser nicht tief genug. Wir haben sie deshalb ganz für uns allein.

19105 Antarctica Air Cruise 4294 Foto Kast20 Meter, 30 Meter? – Nein, diese Eiswand eines kalbenden Gletschers ist 50 Meter hoch.

19105 Antarctica Air Cruise 4295 Foto KastFast schwarz wie Tinte sieht das Wasser an einem wolkenlosen Tag aus.

19105 Antarctica Air Cruise 4306 Foto KastViel näher an die Eisberge sollte man sich nicht heranwagen. Es könnte ja etwas abbrechen.

19105 Antarctica Air Cruise 4414 Foto KastLandausflug in der Paradise Bay – die Spaziergänge hätten ruhig etwas ausgedehnter sein dürfen.

19105 Antarctica Air Cruise 4452 Foto KastDeception Island ist eine ehemalige Walfänger-Station. Es sieht dort ein bisschen wie auf dem Mond aus.

19105 Antarctica Air Cruise 4453 Foto KastMutprobe auf Deception Island: Heiße Quellen machen das Bad aber durchaus erträglich.

19105 Antarctica Air Cruise 4475 Foto KastIn diesen Silos wurde das Fett der Wale zu Tran verarbeitet.