SeereisenMagazin Logo klein 347 65ISLE OF WIGHT · AUSGABE 2/2019hr

19212 10 Red Falcon Cowes08 2018 Kai OrtelDie RED FALCON erreicht den Hafen von East Cowes. Der Schriftzug „Green Funnel” ist ein Hinweis auf den umweltfreundlichen Biogas-Antrieb der Fähre. Fotos: Kai Ortel, Berlin

Kai Ortel

Ein Nachmittag auf der Isle of Wight

Jeder hat sie schon einmal gesehen, kaum jemand ist aber mit ihnen gefahren – mit den kleinen roten Fähren, die das große Southampton mit der Isle of Wight verbinden. Denn in Southampton schifft man im Rahmen einer Kreuzfahrt entweder ein oder aus oder steigt in einen der Ausflugsbusse nach Stonehenge, London oder Portsmouth. Dabei hat auch die nahegelegene Isle of Wight ihren Reiz.
Vorgeben, die Fähren in Southampton nicht gesehen zu haben, kann man jedenfalls schon mal nicht. Ihr Terminal befindet sich direkt am Town Quay, dort wo die belebte High Street kurz vor dem berühmten Mayflower Park am Hafen endet. Und hier beginnt auch schon die Qual der Wahl, denn Red Funnel Ferries, seit 1861 Betreiberin des Fährverkehrs zur Isle of Wight und damit eine der ältesten Reedereien Englands, bietet Überfahrten sowohl mit konventionellen Autofähren als auch mit schnellen Katamaranen an. Die Katamarane fahren innerhalb von 30 Minuten nach West Cowes, die Autofähren mit einer Überfahrtszeit von cirka einer Stunde nach East Cowes. Der Ort, bekannt durch die jährlich stattfindende Segelregatta „Cowes Week” (ihrerseits die älteste und größte dieser Art weltweit) ist durch den Fluss Medina zweigeteilt und durch eine Kettenfähre miteinander verbunden, doch dazu später mehr.
Wir nehmen zunächst die RED JET 6, einen erst 2016 bei der Wight Shipyard gebauten Katamaran. Vier Schiffe dieses Typs besitzt Red Funnel, meistens sind aber nur zwei oder drei gleichzeitig im Einsatz. Da die Überfahrtszeit nur die Hälfte derjenigen der konventionellen Fähren beträgt, sind die Tickets ein bisschen teurer, gelten dafür aber nachher auch auf der Fährlinie von East Cowes zurück nach Southampton.
275 Passagiere fasst die RED JET 6, ein Außendeck gibt es leider nicht. Also heißt es brav hinsetzen, als das Schiff ablegt, und es sich in einem der Flugzeugsessel bequem machen. Schnell nimmt der Katamaran Fahrt auf und passiert die CALSHOT, ein historisches Red Funnel-Schiff, das von 1930 bis 1964 Passagiere zu den großen Atlantiklinern befördert hat, wenn nur wenige Passagiere ein- oder ausschiffen und die riesigen Dampfer daher nicht in Southampton anlegen wollten. Seit 1986 bereits soll aus der CALSHOT ein Museumsschiff werden, geklappt hat dies indes nicht. Inzwischen ist die Schiffsdame nicht mehr seetauglich und soll an Land ausgestellt werden, doch dafür ist kein Geld da. Ausgang der Saga ungewiss.
Die Fahrt den River Test hinunter führt den Katamaran anschließend am QE II-Terminal vorbei, jenem Anleger im RoRo-Hafen Southamptons, der 1966 speziell für die damals neue QUEEN ELIZABETH 2 gebaut worden war. Lang ist das her und besagtes Schiff längst außer Dienst gestellt, doch natürlich nutzen auch heute noch ihre Nachfolgerinnen, die Cunard Queens QUEEN MARY 2, QUEEN VICTORIA und QUEEN ELIZABETH, das QE II-Terminal, genauso wie AIDA Cruises und andere Reedereien der Carnival Corporation.
Genauso maritim, wenn auch weniger glamourös, geht es weiter, als die RED JET 6 ihren Weg Richtung Solent fortsetzt, jener zweigeteilten Meerenge, welche die Isle of Wight vom südenglischen Festland trennt. An Steuerbord kommt nun der Stadtteil Fawley in Sicht. Hier reiht sich Öltanker an Öltanker, im Hintergrund ragen die Öltürme diverser Raffinerien in den Himmel. Exxon Mobil besitzt diesen Standort seit 1925, auch Chemiefabriken haben sich mittlerweile hier angesiedelt. Fast ein Viertel der Erdöl-Verarbeitung ganz Großbritanniens findet hier statt. Auch das ist Southampton.
Doch nach der Hälfte der Fahrt ist auch damit Schluss. Die RED JET 6 erreicht den Solent, und auch die Isle of Wight kommt nun in Fahrtrichtung ins Blickfeld. Aus dem Fahrwasser der „großen Pötte” schert der kleine Katamaran nun aus und erreicht nach etwas mehr als 25 Minuten Fahrt den idyllischen Insel-Ort West Cowes an der Nordküste der Insel. Er ist mit cirka 10.000 Einwohnern der größere der beiden Stadtteile, und auch der sehenswertere. Der drittgrößte Ort auf der Isle of Wight soll bereits im 11. Jahrhundert von den Wikingern gegründet worden sein, die von hier aus ihre Raubzüge auf dem britischen Festland starteten. 1815 wurde hier auch die „Royal Yacht Squadron” aus der Taufe gehoben, die seit 1826 jedes Jahr im August die „Cowes Week” veranstaltet. Doch auch während der übrigen Zeit des Jahres sind Segelyachten in und um Cowes allgegenwärtig. Einen guten Eindruck davon bekommt man bei einem Spaziergang entlang der Hafenpromenade „Victoria Parade” mit ihrer schönen Aussicht über Hafen und Solent.
Wer es maritim mag, sollte anschließend im „Anchor Inn” einkehren, nach eigenen Angaben der ideale Ort, in einer warmen und freundlichen Atmosphäre zu entspannen, natürlich bei einer großen Auswahl an Bieren, Weinen und anderen alkoholischen Getränken. Ansonsten ist das mit der Wärme auf der Isle of Wight so eine Sache, erzählt uns ein Kollege, den es vorübergehend hierher verschlagen hat. Im Sommer sei der Ort ja schön und nett, aber im Winter eine ziemlich triste Angelegenheit. „Alles voller Rollatoren”, und mit den viel gerühmten Abenteuer- und Outdoor-Aktivitäten ist es dann auf der Insel auch nicht weit her. Weswegen er in Kürze auch nach Australien auswandern werde, allein schon des Klimas wegen, berichtet er weiter.
Je weiter man seinen Weg auf der High Street fortsetzt, desto weniger Geschäfte werden es. Auch den Hafen sieht man nicht, obwohl er sich linker Hand gleich hinter der nächsten Häuserreihe befinden muss. Das ändert sich erst, als aus der High Street die Birmingham Road geworden ist, wo das lokale Gewerbe nur noch aus Tattoo-Studios und Fast Food-Outlets bestehen würde, wäre da nicht doch noch der Yachthafen mit seinen großen und kleinen Reparaturbetrieben. Und am Ende der Medina Road schließlich die „Chain Ferry”, jenes höchst spezielle Transportmittel, das wie eine Mischung aus Lore und Fähre anmutet. Auf der Isle of Wight heißt sie „Floating Bridge” (schwimmende Brücke), auch das trifft es ziemlich gut. An der engsten Stelle des Flusses Medina ist die FLOATING BRIDGE NO. 6 auf beiden Seiten mittels schwerer Stahlseile mit dem Ufer verbunden und damit unabhängig von der Strömung. Nur der Tidenhub, der in Cowes immerhin vier Meter beträgt, macht der Fähre hin und wieder zu schaffen, denn bei Niedrigwasser sitzt sie mitunter buchstäblich auf dem Trockenen.
Davon kann an diesem schönen Oktobernachmittag jedoch keine Rede sein. Ein paar Schritte weiter zur Linken befindet sich nach der Ankunft am anderen Ufer das Fährterminal von East Cowes, dem mit etwa 6.000 Einwohnern kleineren Zwillingsort von West Cowes. Auch hier steht alles ganz im Zeichen von Schiffen und Schiffbau, immerhin ist die Wight Shipyard eine der renommiertesten Spezialwerften der Welt für kleinere Schnellfähren und Aluminiumschiffe. „The maritime Gateway to the Isle of Wight” nennt der Tourismusverband der Insel den Ort daher auch; nicht nur die Themse-Schnellfähren vom Typ „Thames Clipper” stammen von hier, auch die „Twin City Liners”, die auf der Donau Wien mit Bratislava verbinden. Doch Touristen zieht es vor allem wegen einer anderen Sehenswürdigkeit nach East Cowes: Osborne House. Auf einem Hügel im Osten der Stadt gelegen, war das Anwesen von 1845 bis 1861 die Sommerresidenz von Königin Victoria und Prinz Albert; hier starb die Monarchin auch 1901. „It is impossible to imagine a prettier spot” (Es ist unmöglich, sich einen schöneren Ort vorzustellen), soll sie über Osborne House und dessen Umgebung gesagt haben. Was, nach Meinung vieler, an einem schönen Sommertag im Übrigen für die komplette Isle of Wight gilt.
Um 17 Uhr bringt mich die Autofähre RED FALCON zurück nach Southampton, neben der RED OSPREY und der RED EAGLE eines von drei Schwesterschiffen der „Raptor”-Klasse, die zwischen 1994 und 1996 für Red Funnel Ferries in Glasgow gebaut worden sind. Die Fahrt dauert beträchtlich länger als jene mit dem Katamaran, wird aber der interessanten Route viel mehr gerecht. Denn hier gibt es ein Sonnendeck, man kann sich an Bord also nicht nur die frische Seeluft um die Nase wehen, sondern unterwegs auch in Ruhe Hafen, Schiffe und Küste an sich vorbeiziehen lassen. Nur auf den fähr-typischen Geruch nach Diesel muss man auf der RED FALCON seit Neuestem verzichten. Die Fähre wurde Anfang Oktober 2018 ausgewählt, testweise mit Biogas anstelle von Diesel zu fahren. Worauf die Reederei im Übrigen auch in ihrer Außenwerbung hinweist: Auf dem Rumpf der RED FALCON ist das „Red” aus dem Reedereinamen durchgestrichen und mit „Green” überschrieben worden, eine clevere Idee. Sind die Tests erfolgreich, werden auch die beiden anderen Schiffe in Kürze von Niedrigschwefeldiesel auf Biogas umgestellt, und die Luft über dem idyllischen Cowes wird noch ein bisschen sauberer.
Als die RED FALCON nach knapp einer Stunde Southampton erreicht, wird sie noch einmal ausgebremst. Mit der MSC PINA schiebt sich nämlich ein großes Containerschiff an der nicht weniger imposanten AIDAperla vorbei in den Hafen, da kann sich selbst eine vergleichsweise kleine Fähre wie die RED FALCON nicht mehr so ohne weiteres dazwischenquetschen. Das lässt Zeit für einen Blick auf die CALSHOT SPIT, ein weiteres historisches Schiff, das den Stadtvätern von Southampton Kummer bereitet. 1914 gebaut, diente das Feuerschiff bis 1965 vor der Landzunge, deren Namen es trägt, als Wegweiser für Seeschiffe. Nach ihrer Außerdienststellung diente die CALSHOT SPIT bis 2010 als Museumsschiff, dann jedoch brauchte man ihren Liegeplatz wie so oft plötzlich für eine touristische Umgestaltung der attraktiven Hafengegend. Seitdem ist das Schiff „aufgebockt”, direkt neben der CALSHOT und in genauso schlechtem Zustand. Die Aussicht auf eine Wiederinstandsetzung? Auch hier düster.
Und so liegen Freud und Leid in Southampton dicht beieinander. Hier das mittlerweile bis in den Oktober hinein florierende Kreuzfahrtgeschäft und der RoRo-Verkehr mit Neuwagen, die aus aller Welt in Südengland eintreffen, dort die beiden kleinen alten Schiffe, die dieselbe Welt vergessen zu haben scheint. Und mittendrin der pulsierende Fährverkehr zur Isle of Wight, der für die Insulaner eine Art Lebensader darstellt. Wenn Sie das nächste Mal in Southampton sind, nehmen Sie sich ruhig die Zeit und fahren einmal mit Red Funnel rüber – es lohnt sich! www.redfunnel.co.uk

Technische Daten und Steckbrief MS RED FALCON
Bauwerft: Ferguson Shipbuilders, Glasgow (Großbritannien); Im Dienst: seit 25.03.1994; Flagge: Großbritannien; Heimathafen: Southampton; Tonnage: 4.128 BRZ; Länge: 93,20 Meter; Breite: 17,50 Meter; Tiefgang : 2,70 Meter; Passagiere: 895; Autos: 220; Besatzung: 16; Leistung: 26.000 kW; Höchstgeschwindigkeit: 14 Knoten.

19212 01 Red Osprey und Red Jet 7 Southampton09 2018 Kai OrtelDie RED OSPREY und RED JET 7 zusammen in Southampton. Im Hintergrund hat das Kreuzfahrtschiff MSC MAGNIFICA am Mayflower Terminal festgemacht.

19212 07 Red Eagle Cowes10 2018 Kai OrtelEin alltäglicher Anblick in West Cowes: Die Red Funnel-Fähre (hier die RED EAGLE) passiert zwei Segelyachten, die an der Marina nahe der Victoria Parade festgemacht haben.

19212 08 Cowes13 2018 Kai OrtelDie beschauliche Innenstadt von West Cowes ist kein Vergleich zu ihrem Pendant in der pulsierenden Großstadt Southampton.

19212 09 Cowes19 2018 Kai OrtelBlick über den Fluss Medina landeinwärts mit der Kettenfähre FLOATING BRIDGE NO. 6 in East Cowes.

19212 12 Cowes31 2018 Kai OrtelWest Cowes vom Deck der RED FALCON aus gesehen. Die Segelyachten stellen die Kapitäne der Red Funnel-Fähren vor allem im Sommer hin und wieder vor navigatorische Herausforderungen.

19212 13 Red Falcon Bug01 2018 Kai OrtelMit einem fast vollen Autodeck läuft die RED FALCON für eine Überfahrt nach Southampton aus East Cowes aus.

19212 14 Red Falcon Salon01 2018 Kai OrtelGemütlich geht es im Innern der RED FALCON zu. Die großzügige Einrichtung ist kein Vergleich zur Enge auf den „Red Jet”-Schnellfähren der Reederei.

19212 15 Solent05 2018 Kai OrtelAusgebremst. Schlepper ziehen direkt vor der RED FALCON das Containerschiff MSC PINA an seinen Liegeplatz, während die AIDAperla am QE II-Terminal festgemacht hat.

19212 18 Red Falcon und MSC Magnifica Southampton03 2018 Kai OrtelSouthampton ist einer der betriebsamsten Seehäfen Großbritanniens. Im Bild der Autotransporter HORIZON HIGHWAY, das Kreuzfahrtschiff MSC MAGNIFICA und die Red Funnel-Fähren RED FALCON und RED JET 7.