SCHNUPPERTÖRN · AUSGABE 2/2019
Blick vom Vormast der MS CONTI LYON 30 Meter nach unten auf das Deck und den tintenblauen Atlantik.
Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund
Dr. Peer Schmidt-Walther
Einmal über den Nullmeridian
Kleiner Schnuppertörn auf Riesenfrachter
„Mein” Schiff liegt in Hamburg. Die knapp 80.000 Tonnen große MS CONTI LYON lädt Container für ihre bevorstehende Ostasien-Rundreise. 56 Tage soll sie dauern. Es soll allerdings erst mal nur eine Acht-Tage-Schnupperreise werden.
Auf schwankender Gangway balanciert man in die Höhe. Hafenarbeiter drücken sich eilig vorbei nach unten: Schichtende. „Gute Reise!”, wünschen einige.
Durch acht Decks saust der Fahrstuhl nach oben. Kapitäns-„Musterung”: „Willkommen an Bord! Haben Sie Ticket und Pass dabei?” Der Vier-Streifen-Mann checkt kurz unsere Papiere, die auf einem Stapel neben dem Computer landen. „Tja, dann richten Sie sich mal häuslich ein”, ist noch zu hören. Spricht’s und wendet sich wieder seinen Geschäften zu. Für „lebende Ladung” ist vor dem Auslaufen wenig Zeit.
Die Eigner-Kabine entpuppt sich als gemütlich: Doppelbett, Ecksofa, Stühle, Kühlschrank, Video-Musik-Anlage, Schreibtisch, Kleiderschrank, Bad – und Blick durch drei Fenster nach vorn auf bunte Containerstapel. Die Kräne arbeiten immer noch emsig, greifen Blechkisten und packen sie in die Laderäume.
Als Passagier hautnah dabei
Allgemeine Vorstellungsrunde beim ersten Mittagessen in der Offiziersmesse. Danach ein Blick in die blitzsaubere Kombüse. Koch und Steward, beide von den Philippinen, freuen sich über den Besuch. Auch über ein Dankeschön nach dem reichhaltigen warmen Essen und kalter Platte. Da heißt es zurückhaltend sein und regelmäßig Fitnessraum und Sauna frequentieren! Oder zehn Runden ums Schiff laufen. In einer Stunde kommen so 5,5 Kilometer zusammen. Das täglich, dann „verkürzt” sich der Seeweg auf nur wenige Kilometer, kann man sich ausrechnen.
Rund 100.000 PS geraten in Bewegung. Von der Brücke aus, dem scherzhaft genannten „Café Stehblick” – auf einem Kreuzfahrer absolute Tabuzone – verfolgt man das Ablegemanöver, 45 Meter über der Elbe. Hier ist man als Passagier hautnah dabei.
Irgendwann geht ein Grummeln durchs Schiff: Die ständig vorgewärmte Hauptmaschine springt mit zischender Druckluft an. Dann packen Bug- und Heckschlepper an. Von Norden peitschen Regenböen vierkant gegen das schlanke, hohe Deckshaus, das sein Vibrationskonzert anstimmt.
Keine Hymnen, keine Tränen
Bald verschwimmen die „roten Laternen” von St. Pauli im Kielwasser. Anerkennende Lotsen-Worte: „Ganz schöner Kasten!” Kurz darauf ist typisches Funkkauderwelsch zu hören, zum Beispiel: GRETJE ist jetzt beim Teufel”; nicht etwa eine Anspielung auf Goethes „Faust”, sondern die Mitteilung, dass der Küstenfrachter GRETJE gerade Teufelsbrück passiert habe. Die Schlepper werfen los und drehen ab. Der Riese schleicht allein weiter.
Das Villenviertel von Blankenese leuchtet vornehm zurückhaltend von den Ufer-Steilhängen. Stumm die Schiffsbegrüßungsanlage in Schulau. Wegen Dunkelheit fällt der rührselige Abschied ins Wasser. Keine Hymnen, keine Tränen. Bis zum Lotsenwechsel vor Brunsbüttel halten wir aus und schauen den Nautikern bei ihrer verantwortungsvollen Arbeit über die Schultern. Ihre Gesichter leuchten grün im Schein der Radarschirme.
Filigran am Himmel
Helgolands starkes Feuer blitzt wie zum Abschied herüber. In der Nacht steigt der Lotse ab. „Beginn der Seereise”, notiert der Kapitän im Logbuch. „It’s a long way to Tipperary …” möchte man summen. Zum Mittagessen wird neben Fisch auch die niederländisch-belgische Küste serviert. Ein halbes Dutzend schnelle Fähren kreuzt unseren Kurs, manche in knappem Abstand.
Kapitäns-Anruf von der Brücke. „Voraus läuft die KRUZENSHTERN, komm’ doch mal hoch!” Noch zeichnet sich die russische Viermastbark, der ehemalige deutsche Flying-P-Liner PADUA, als zartes Filigran gegen den Sonnenuntergangs-Himmel ab. Sie ist oft zu Gast während der Hanse Sail gewesen.
Über den Null-Meridian
CONTI LYON tastet sich in die Einfahrt des belgischen Hafens Zeebrügge. Das schlafende Seebad verlockt noch nicht zum Landgang, doch am nächsten Morgen bei strahlendem Himmel. Gelegenheit für Außenaufnahmen vom Schiff, Gespräche mit freundlichen Kabeljau-Anglern, Promenaden-Auslauf, am Strand und in den Dünen.
Der Frachter hat am Spätnachmittag seine Nase wieder in See gesteckt. Voraus versinkt ein glühender Sonnenball im Englischen Kanal. Autobahnmäßig dichter Schiffseinbahn- und Fähren-Querverkehr zwingen den Kapitän zur Daueranwesenheit auf der Brücke. Stress bis in die Morgenstunden. Englische und französische Küste sind zu Glühwürmchen-Ketten geschrumpft. Bei der Kojen-Lektüre von Lothar-Günther Buchheims Roman „Die Festung” frage ich mich, wie das hier wohl 1944 während der alliierten Invasion ausgesehen haben muss.
Der Frachter rauscht an der englischen Südküste entlang nach Südwesten. Querab vom Seebad Brighton überquert man hier den Null-Meridian, wie das GPS unbestechlich anzeigt. Ein einsames Rotkehlchen und zwei Stare fahren mit – als Schiffs-Tramps in den Süden. Ob die müden Vögel ihren Konvoi verpasst haben oder einfach nur zu faul sind?
Endlos-Film spult ab
Nicht so der Kapitän und der Chief, sein Landsmann. Sie liefern sich zum Ausgleich ein heißes Tischtennis-Match, die sportlich ausgetragene ewige, nie ganz ernst gemeinte Rivalität zwischen „oben” und „unten”, zwischen „wichtig” und „unwichtig”. Wobei diesmal die Maschine als Sieger hervorgeht und der Kapitän frotzelt: „Nehm ich gar nicht erst zur Kenntnis!” Frühes Blinzeln aus dem „Schlafzimmerfenster” in 30 Meter Höhe: Draußen spult bereits der Endlos-Film „Atlantik Superstar” ab.
Die Biskaya bietet nicht mehr so ideale tischebene Spielbedingungen. Obwohl sie sich relativ friedlich und sonnenglänzend gibt. Aus dem fernen Westen indes rollt ein Schwell von vier bis fünf Metern heran. CONTI LYON lässt das kalt.
Nach einer 2000-Seemeilen-Schnupper-Woche ab Hamburg – nicht einmal die berüchtigte Biskaya hat unserem Riesen etwas anhaben können – kommt das „Container-Drehkreuz” des Mittelmeeres in Sicht. Gelb-braune Steilküsten werden von blauen Container-Kränen und -Gebirgen überragt: Malta voraus! Von hier wird CONTI LYON-Ladung in andere Mittelmeer-Häfen verteilt. Zeit zum Abschiednehmen.
Informationen
MS CONTI LYON: Bauwerft: Hanjin Heavy Industries & Construction Co. Ltd, Pusan, Südkorea; Baunummer: HHI – N-078; IMO-Nr.: 9222285; Taufname: CONTI LYON; Klassifikation: Germanischer Lloyd (GL) + 100 A 5 Containership MC Aut. IW; Eigner: Conti 26, Alemania Schiffahrts GmbH & Co. KG „MS CONTI LYON”, Putzbrunn/München; Management: NSB Niederelbe Schiffahrtsgesellschaft-GmbH & Co. KG, Buxtehude; Ablieferung: 02.06.2001; Einsatz: weltweit; Größe: 73.172 BRZ, 77.964 tdw (bei Maximaltiefgang 14,52 m); 299,79 m Länge, 40,3 m Breite, 24,1 m Seitenhöhe; Gesamthöhe: 60,9 m; Schiffsgewicht (light ship) 26.800 t; TEU-Gesamtkapazität 6.447 (8 Laderäume, 16 Luken; Hauptantrieb: in Hyundai-Lizenz gebauter MAN B & W-Langsamläufer 12K98MC-C, 68.520 kW/93.120 PS, Trockengewicht 2.095 t; Verbrauch: 320 t (maximal) Schweröl/Tag bei 90 % Leistung, bei 10 % (super slow steaming) nur noch 45-50 t/Tag; sechsflügeliger Propeller: 8,8 m Durchmesser, 92 t; Propellerwelle 250 t, Kurbelwelle 420 t Gewicht ; Geschwindigkeit: 25,9 Knoten (maximal); Hilfsdiesel: 3 Generatoren zu je 2.800 kW, 2.000 kW-Bugstrahlruder, 550 kW Notaggregat; Müllverbrennungsanlage, Frischwassererzeuger (25 t/Tag); modernste Satelliten-Navigations- und Kommunikationsanlagen, u.a. Antikollisionsradar; Decks: 9; Besatzung: 24 Mann; Passagiere: 5; Rufzeichen: DIIN; Flagge: Deutschland, Heimathafen: Hamburg.
Reiseroute
Hamburg-Zeebrügge-Southhampton-Malta-Suezkanal, Khor Fakkan/Emirate, Hongkong-Shanghai-Ningbo-Yantian-Hongkong-Port Kelang/Malaysia-Suezkanal, Malta-Le Havre-Rotterdam-Hamburg (auch Einzelstrecken buchbar); Rundreisedauer: 56 Tage.
Ausstattung Schiff
Fahrstuhl, Innenpool, Sauna, Fitnessraum, Video-/TV-Raum, Aufenthaltsraum/Bar, Liegestühle, Waschmaschine/Trockner/Trockenraum, Handtücher, Bettwäsche, Kabinenreinigung (wöchentlich), Steward.
Ausstattung Kabinen
2 Doppelkabinen (Eigner, Zahlmeister), F-Deck (Steuerbord Mitte, Backbord Mitte), etwa 30 Quadratmeter inklusiv Bad, 1 Wohn-, 1 Schlafraum (Doppelbett: 2,05 x 1,80 m), DU/WC, Kleiderschrank, Kühlschrank, TV/Video, Kassetten-/CD-Recorder, 2 Sofas, Tisch, Schreibtisch, Sideboard, 3 Stühle, Teppichboden, 4 Fenster mit Ausblick nach vorne.
1 Einzelkabine (Supercargo), E-Deck (Backbord Mitte), 18 Quadratmeter inklusiv Bad, 1 Schlaf-/Wohnraum (Bett: 2,05 x 1,25 m), DU/WC, Kleiderschrank, Kühlschrank, Sofa, Sessel, Tisch, Stuhl, Teppichboden, TV-Anschluss, Ausblick (kann manchmal auch durch Container verstellt sein) nach vorn.
Preise und Zeiten auf Anfrage
www.frachtschiffreisen-pfeiffer.de · www.hamburgsued-reiseagentur.de · www.zylmann.de
Die MS CONTI LYON in voller Fahrt auf dem Atlantik.
Kapitän (links) und Chief beim Mittagessen.
Blick in den großen Wohnraum der Eigner-Kabine.
Rettungsübung – der Dritte Offizier erklärt das Rettungsboot.
Die mächtige Brücke mit dem Dritten Offizier in der Steuerbord-Nock.
Der Lotsen-Hubschrauber landet vor den Container-Gebirge.
Der Kapitän beim Schwimm-Training im Pool – hinten die Sauna.
Der Autor bei der E-Book-Lektüre im Decksstuhl.
Matrosen beim Training im Fitness-Raum.
Die gewaltige Hauptmaschine im „Keller”.
Der Chief neben dem Fundament der 100.000-PS-Maschine.