SeereisenMagazin Logo klein 347 65FLUSSREISE · AUSGABE 2/2020hr

20214 Wolkenspiel ueber der mittleren OderWolkenspiel über der mittleren Oder. Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund (7), nicko cruises, Stuttgart (5 Schiffsbilder)

Dr. Peer Schmidt-Walther
Auf dem pommersch-brandenburg-schlesischen Schicksalsfluss

In den vorpommerschen Häfen ist sie während der Sommermonate ein bekannter Gast, die schneeweiße THURGAU SAXONIA. Im Frühjahr jedoch weicht sie von ihrem Fahrplan ab. Dann nämlich geht die THURGAU SAXONIA auf einen geschichtsträchtigen Südost-Kurs. – In Berlin-Spandau startet der Tausendtonner. Weiter über die Havelseen-Kette, den Oder-Havel-Kanal, Eberswalde, das Schiffshebewerk Niederfinow nach Frankfurt/Oder. „Ich wäre zwar lieber ab Hohensaaten links herum Richtung Ostsee nach Stralsund gefahren, aber auch eine Oder-Fahrt hat ihre speziellen Reize”, weiß der Kapitän aus langjähriger Schiffer-Erfahrung auf dem heute deutsch-polnischen Grenzstrom. Frischer Wind weht den zusteigenden Passagieren ins Gesicht.

Hauptunterhaltung Natur
Als die THURGAU SAXONIA in den trägen Fluss dreht, ist das Zittern kaum zu spüren. „Wie ein sanfter Schauer”, meint eine Seniorin poetisch, „kriechen die Schwingungen aus dem Maschinenraum durch die Kabinen.” Mit dreifacher Schrittgeschwindigkeit und 1.000 PS gleitet die THURGAU SAXONIA zu Berg, wie die Flussaufwärts-Richtung in der Fachsprache heißt. Kilometer um Kilometer schlängelt sich das 82 Meter lange Vier-Sterne-Schiff auf dem windungsreichen Fluss mit seinen oft schilfgesäumten Ufern voran. Er hat für Auge und Kamera nur stille Sensationen zu bieten: Landschaft satt samt seltene Vögel wie Seeadler und Kraniche – Hauptunterhaltung für die 80 Passagiere. Hin und wieder äsen Rehe auf den Wiesen. Ortschaften werden selten passiert, so dass die Reiseleiterin wenig ansagen muss. Die für Abwechslung sorgende Frachtschifffahrt ist seit der Wende fast eingeschlafen.
„Unter den deutschen Flüssen ist die Oder wie ein Bauernweib unter Großen und Edlen“, schrieb einst ein Dichter. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich an den weitgehend naturbelassenen Ufern nicht viel getan. Nachdenklichkeit erzeugen allerdings immer noch zerschossene Brücken- und Hausruinen, die manchmal hinter den ausgefransten Ufern über den Deich ragen. Buhnen – sie sollen die Strömung regulieren und das Fahrwasser ausreichend tief halten – sind auf polnischer Seite, wo alte Landkarten die preußischen Provinzen Pommern und Schlesien verzeichnen, unter- und überspült. „Das ist nicht ganz ungefährlich”, kritisiert der Kapitän diesen Zustand. Desinteresse oder Geldmangel? Normalerweise ist der Wasserstand im Frühjahr hoch genug für eine relativ unproblematische Schifffahrt. „Im Hochsommer”, so der Kapitän, „sinkt er allerdings auf Werte ab, bei denen selbst wir mit knapp über einem Meter Tiefgang nicht mehr fahren können”, erklärt er seinen Gästen. Daher beschränke sich die Oderfahrt auf ganze drei Reisen.
Bis zum Herbst werden ab Berlin die Elbe bis Prag, sowie die Sund- und Boddengewässer bis hinauf nach Hiddensee und Rügen angesteuert. „Dabei kommen pro Jahr rund 25.000 Kilometer zusammen”, rechnet der Kapitän vor. Unsere Strecke Berlin – Breslau macht rund 500 Kilometer aus.

Abenteuer und Pläne
Niedrige Oder-Brücken sind ein zusätzliches Hindernis. Mannschaft und Passagiere werden gleichermaßen gefordert: Während die einen sich an Deck flach hinlegen, müssen die anderen Schornstein und Reling abbauen. In Krosno Odrzanskie/Crossen scheint nichts mehr zu gehen. „Fünf Zentimeter!”, meldet der Chiefingenieur nach einer Peilstab-Messung über Sprechfunk an den Kapitän. Der gibt „Stoff” und drückt damit das Achterschiff tiefer ins Wasser. Schließlich heißt es für alle „Köpfe einziehen!” Nur der Kapitän behält aus seiner Luke im abgesenkten Steuerhaus den Überblick. Sein „Trick” hat geklappt. Beifall auf offener Szene! Ein um wenige Zentimeter höherer Pegel hat das auch schon mal verhindert. Aber auch manche nicht ausgebauten Anlegestellen und schiffsengen Schleusen machen das Manövrieren zu einem Abenteuer. Profitieren möchte man hier zwar vom Tourismus, aber nicht viel investieren.

Biografische Verstrickungen mit Erholungseffekt
Vor Breslau müssen Steuermann und Bootsmann sogar einen Teppich zwischen Schleusenmauer und Bordwand halten, um sie – bei gerade mal fünf Zentimetern Luft rechts und links – vor Kratzern zu bewahren. Ein Nervenkitzel für die Seh-Leute an Bord wie an Land. Konzentriert dirigiert der Kapitän das Schiff vom Außensteuerstand. „Das geht am besten im Schneckentempo”, meint er gelassen. Eine Chance für die Fotografen, schnell noch ein paar „abenteuerliche” Bilder in den Kasten zu bekommen. Während der Landausflüge nach Zielona Gora/Grünberg, Lubiaz/Kloster Lebus, Legnica/Liegnitz, Wroclaw/Breslau und sogar ins Riesengebirge bis zu Gerhart Hauptmanns Wurzeln in Agnetendorf hat man allerdings mehr Zeit. Anders als auf Hochsee-Kreuzfahrtschiffen wird nachts angelegt und tagsüber gefahren, „damit unsere Gäste möglichst wenig versäumen”, so die Kreuzfahrtdirektorin. Die frühere Reiseleiterin ist seit zehn Jahren mit Flussreisen vertraut. Sie kümmert sich nicht nur um das Finanzielle, sondern sorgt auch, gemeinsam mit der 22-köpfigen Besatzung, liebevoll für ihre Gäste. „Die meisten sind ‚Heimweh-Touristen’”, weiß sie aus Erfahrung. Als sie von der Flucht 1945 bei minus zwanzig Grad berichten, können manche ihre Tränen nicht zurückhalten: „Schreckliche Erinnerungen, die wir nie vergessen werden”. Per Taxi unternehmen sie einen Ausflug in ihre Heimatorte links und rechts des Schicksal-Flusses und damit in ihre Vergangenheit. Den Autor zieht es in seinen wartheländischen Geburtsort Ostrowo, heute Ostrow Wielkopolski.
Wer auf der THURGAU SAXONIA Erholung vom Alltag sucht und sich – auch ohne eigene biografische Verstrickung – von der Historie ergreifen lässt, wird die Reise sehr genießen. Buchungen: www.nicko-cruises.de · www.thurgautravel.ch 

Informationen
MS SAXONIA: Baujahr: 2001; Bauwerft: Hardingsveld; Länge: 82 m; Breite: 9,50; Tiefgang: 1,20 m; Antrieb: 2 x 500 PS Caterpillar; Geschwindigkeit (maximal): 20 km/h; Reederei: Scyllla AG, Baar; Flagge: Schweiz; Decks: 3 (Sonnendeck mit Dach); Kabinengröße: 11 bis 12 qm (Zweibettkabinen; Dusche/WC, Fön, Klimaanlage, Minikühlschrank, SAT-TV, Safe, Telefon, Wäscheservice); Passagiere: 88; Crew: 22; Restaurant, Panorama-Salon; Bar; Bordshop.

Oder: (polnisch, tschechisch Odra) ein mitteleuropäischer Strom, der in Tschechien entspringt, durch Polen fließt und einen Teil der Grenze zwischen Polen und Deutschland bildet. Sie mündet durch das Stettiner Haff und um die Inseln Usedom und Wolin herum in die Ostsee. Die Oder als Grenzfluss ist ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs. Die Oder ist 866 Kilometer lang (898 Kilometer bis Świnoujście (Swinemünde)). Zu ihren Nebenflüssen gehören die Lausitzer Neiße und die Warthe, die als längster Nebenfluss die Länge des Flusssystems auf 1045 Kilometer verlängert. Der mittlere Abfluss beträgt an der Mündung in das Stettiner Haff 574 m³/s, womit die Oder nach Rhein, Donau, Inn und Elbe der fünftgrößte Fluss in Deutschland ist. Ihr Einzugsgebiet ist im Westen und Südwesten von dem der Elbe, im Osten von dem der Weichsel und im Süden von dem der Donau begrenzt. Nach Wikipedia.

 

20214 MS SAXONIA 2020 Foto nicko cruisesMS SAXONIA 2020.

20214 MS SAXONIA Foyer mit Rezeption Foto nicko cruisesMS SAXONIA Foyer mit Rezeption.

20214 SAXONIA Panorama Salon und Bar Foto nicko cruisesSAXONIA Panorama Salon mit Bar.

20214 SAXONIA Panorama Restaurant Foto nicko cruises Im SAXONIA Panorama Restaurant.

20214 SAXONIA Sonnendeck Foto nicko cruises 1Auf dem SAXONIA-Sonnendeck.

20214 Kapitaen im Steuerstand Der Kapitän im Steuerstand.

20214 Angler hofft auf fette Oder BeuteAngler hofft auf fette Oder-Beute.

20214 Das technische Denkmal Schiffshebewerk NiederfinowDas technische Denkmal Schiffshebewerk Niederfinow.

20214 Ein Rudel Rehe hat vor dem Schiff den Fluss ueberquertEin Rudel Rehe überquert vor dem Schiff die Oder.

20214 Ein Storchenpaar auf FuttersucheEin Storchenpaar auf Futtersuche.

20214 Einmuendung der Warthe in die Oder bei KuestrinEinmündung der Warthe in die Oder bei Küstrin.