FÄHRREISEN · AUSGABE 2/2020
Die PRINCESS SEAWAYS an ihrem Anleger in IJmuiden. Mit ihren markanten Aufbauten ist sie leicht als die alte PETER PAN (3) zu erkennen. Fotos: Kai Ortel, Berlin
Kai Ortel
PRINCESS SEAWAYS – ein Abschied auf Raten
Als ich im Oktober 2019 mit der PRINCESS SEAWAYS fuhr, war das Ende ihrer Einsatzzeit in Nordeuropa beschlossene Sache. Im Februar 2020 sollten sie und die KING SEAWAYS durch die MOBY AKI und MOBY WONDER ersetzt werden. Die herbstliche Minikreuzfahrt nach Newcastle stand also im Zeichen des Abschieds – auch wenn wenig später alles ganz anders kommen sollte.
Erst vier Wochen zuvor hatte DFDS den Abschied der beiden Nordsee-Fähren verkündet. Am 6. September 2019 stellte die Reederei den Erwerb der 2001 und 2005 gebauten Moby-Fähren in Aussicht; auch eine Fotomontage der Schiffe in ihrem neuen DFDS-Kleid hatte man parat. Die Schiffe selber gingen Anfang Oktober in Genua in die Werft, wo erste vorbereitende Arbeiten für ihren Wechsel in die Nordsee vorgenommen werden sollten. Dass Moby zu diesem Zeitpunkt in finanziellen Schwierigkeiten steckte, war ein offenes Geheimnis, doch der Verkauf der beiden Flaggschiffe an DFDS machte in diesem Licht nur noch umso mehr Sinn. Und der „Tausch” mit der PRINCESS SEAWAYS und ihrer Fast-Schwester ebenfalls. Schließlich hatten die beiden 1986 und 1987 in Bremerhaven gebauten Schiffe im Herbst 2019 33 bzw. 32 Dienstjahre hinter sich, in denen sie fast immer ganzjährig im Einsatz gewesen waren. Da hatten sie sich ein „Altenteil” auf den überwiegend saisonal betriebenen Fährlinien nach Korsika und Sardinien redlich verdient. Auch für mich würde es also die letzte Fahrt mit der PRINCESS SEAWAYS sein.
Eine Fähre mit Vergangenheit
Über IJmuiden scheint am Tag der Deutschen Einheit die Sonne. An Bord der Englandfähre schiffen sich 988 Passagiere ein, was bei einer Gesamtkapazität von 1.250 Personen nicht schlecht ist für einen Wochentag in der Nebensaison. Viele Deutsche nutzen das lange Wochenende aus Feier- und Brückentag für eine Mini-Kreuzfahrt nach Newcastle, aber es sind auch französische, niederländische und englische Stimmen zu hören. Seit der Einstellung der Linie Esbjerg – Harwich im Jahr 2014 ist die Verbindung von Amsterdams Nordsee-Vorposten nach Nordengland die östliche überhaupt, die für Passagiere und ihre Autos über die Nordsee führt, entsprechend groß ist ihr Einzugsgebiet.
Außenkabine 5009 wartet vor der Abfahrt mit typischem Fähr-Look auf. Das Klappbett ist schmal, auf dem Tisch unter dem Spiegel liegt der Prospekt mit den Sonderangeboten des Bord-Shops zur Lektüre bereit, und im kleinen Bad hat die Bauwerft seinerzeit die Toilette aus Platzgründen direkt in die Dusche hineingebaut. 1986 war das, damals hatte die deutsche TT-Line das Schiff als PETER PAN (3) für ihre Ostseefährlinie Travemünde – Trelleborg bauen lassen. Sieben Jahre fuhr es anschließend als „Märchenschiff” zwischen Deutschland und Schweden, ehe es 1993 unter dem Namen SPIRIT OF TASMANIA nach Australien wechselte. Mit einer Rückkehr nach „Old Europe” rechnete nach ihrem Wechsel auf die Südhalbkugel niemand mehr so schnell, trotzdem kaufte 2003 die Fjord Line die Fähre und holte sie als FJORD NORWAY nach Norwegen. Mitsamt ihrer Route von Bergen nach Newcastle wurde das Schiff 2006 an DFDS verkauft, seit 2007 befährt es die Linie von Amsterdam in die nordenglische Hafenstadt. 2011, als die damalige PRINCESS OF NORWAY 25 Jahre alt wurde, erhielt sie den Namen PRINCESS SEAWAYS. Seitdem wurde und wird sie kontinuierlich modernisiert und umgebaut, damit sie auch weiterhin den Erfordernissen des Marktes entspricht. So wurde Anfang 2018 erst das Büffet-Restaurant an Bord erweitert; es erstreckt sich seitdem als „Explorer’s Kitchen” über zwei Decks. (Auf Deck 7 musste dafür das „Lighthouse Café” weichen, so dass leider die Arkade weggefallen ist, die bisher bis zum Heck der Fähre geführt hat.) Aus dem Blue Riband Restaurant wiederum ist das nicht weniger edle A la Carte-Restaurant „North Sea Bistro” geworden, wo man sich vor allem regionale und saisonale Speisen im Rahmen eines „luxuriösen Dinners” (DFDS) gönnen kann. Nicht zuletzt dafür ist DFDS auch 2019 wieder bei den „World Travel Awards” zum „World’s leading ferry operator” gewählt worden – zum neunten Mal in Folge. Inzwischen ist die „alte Dame” PRINCESS SEAWAYS sogar älter, als es die WINSTON CHURCHILL war, jener Oldtimer, der die damals noch saisonale Linie Amsterdam – Newcastle im Frühjahr 1995 eröffnet hatte.
Bingo, Bier und Elton John
Statt um 17:30 Uhr verlässt die PRINCESS SEAWAYS IJmuiden schon um 17:20 Uhr. Das hilft Treibstoff zu sparen und ist natürlich auch nicht verboten. Los geht’s, wenn wortwörtlich „alle Mann an Bord” sind. Die weitläufigen Außendecks der alten PETER PAN laden dabei noch immer genauso zum Beobachten des Auslaufens ein wie damals in Travemünde, nur dass in IJmuiden keine anderen Fähren, keine Vorderreihe und kein Maritim-Hotel vorbeiziehen, sondern nur eine Handvoll holländischer Fischtrawler und das kleine „Forteiland” mit seiner Festungsanlage aus dem 19. Jahrhundert. Nach 20 Minuten ist die PRINCESS SEAWAYS auf der offenen Nordsee. Die Sky Bar leert sich, man zieht sich ins Schiffsinnere zurück – die Mini-Kreuzfahrt kann beginnen.
Ein Reedereiplakat in meiner Kabine wirbt mit dem Slogan „Live Music & Entertainment – your holiday starts as soon as you step onboard”. Das versprechen zwar auch diverse Kreuzfahrtreedereien, bei DFDS, einer der ältesten Fährreedereien Europas, trifft es jedoch immer noch genauso zu. Im kleinen Bordkino läuft um 19 Uhr der erste von insgesamt sechs Filmen des heutigen Abends, und Live-Musik gibt es traditionell sowohl in Form einer Band (im Columbus Club) als auch eines Troubadour (im Navigators Pub). Darüber hinaus laden die Compass Bar, ein Kasino und der große Sea Shop dazu ein, die Nachtfahrt nach England kurzweilig zu gestalten. In letzterem gibt es übrigens original Guinness-Merchandise-Artikel zu kaufen; das Bier selbst stammt zwar bekanntermaßen aus Irland, als Urlaubssouvenir von den Britischen Inseln taugen Bierdeckel, Flaschenöffner und T-Shirt aber trotzdem. Tief unten auf Deck 2 sind unterdessen die ersten Kabinenpartys im Gange. Die billigen Kabinen unter dem Autodeck werden gerne von Schulklassen, Teenagern oder anderen preisbewussten Kundengruppen belegt, und solange die „Tage der offenen Kabinentür” nicht aus dem Ruder laufen, stört es auch niemanden, wenn es dort ein bisschen ungezwungener zugeht.
Das Gegenteil davon ist die Kommandobrücke auf Deck 10, das abgedunkelte und fast totenstille Heiligtum des Schiffes. Sie ist das Reich von Dánial Vang, dem von den Faröer-Inseln stammenden Kapitän der Englandfähre. Er ist der Chef einer aus 104 Mann (und Frau) bestehenden Besatzung und hat zum Zeitpunkt meines Besuches aufregende Wochen vor sich. Die PRINCESS SEAWAYS fährt nur noch bis Februar auf der Route; bis dahin müssen sich diverse Crewmitglieder bereits mit dem Nachfolgeschiff vertraut machen, ohne dass Service-Qualität oder Wartungszustand an Bord der Fähre in den letzten Betriebsmonaten leiden. Was genau ihn auf der künftigen NEWCASTLE SEAWAYS (der aktuellen MOBY WONDER) erwartet, weiß er überdies noch nicht, da lasse er sich überraschen, erzählt der sympathische „Master next God”. Für den Moment ist ohnehin nur wichtig, dass seine PRINCESS SEAWAYS zuverlässig mit drei von vier Maschinen nach Newcastle fährt; die vierte wird aufgrund der überpünktlichen Abfahrt und des vergleichsweise guten Wetters (Windstärke 4 – 5) heute nicht benötigt.
Zur selben Zeit ist auf Deck 7 das noble North Sea Bistro eingedeckt, wie für ein königliches Bankett. Auf keiner Fähre über die Nordsee kann man edler speisen, allerdings sorgen Preise von 28 € für ein Rib-Eye Steak (250 g) oder von 9,50 € für eine Käseplatte zum Nachtisch nicht gerade dafür, dass hier Hochbetrieb herrscht. Anders geht es da im Explorer’s Kitchen zu, dem Hauptrestaurant an Bord. Auch hier isst man nicht gerade günstig (23,95 € bei Voraus-Buchung, 29,95 € bei Buchung an Bord, Getränke extra), dafür braucht man nicht zu befürchten, das Restaurant hungrig zu verlassen. Denn die Auswahl an internationalen Speisen am Büffet ist groß: Von Burgern und Barbecue über mediterrane und italienische Küche bis hin zu fernöstlichen Gerichten gibt es hier fast alles, was das Herz begehrt. Dazu frische Salate, köstliche Desserts sowie vegetarische und vegane Gerichte. Stilecht abrunden kann man das Ganze mit einem lokalen Bier – dem Newcastle Brown Ale (das Glas für 5,50 €), das mit 41 Millionen allein in Großbritannien verkauften Flaschen das beliebteste Ale auf der Insel überhaupt ist.
Wenig später beginnt um 22 Uhr so pünktlich wie sonst in merry old England nur die Tea Time das Bingo-Spiel im Columbus Club, für das sogar der Troubadour im Navigators Pub nebenan eine kurze Pause einlegt. Die spielende Passagier-Schar gibt sich diszipliniert, doch natürlich ist auch an diesem Abend ein Spaßvogel dabei, der schon nach nur vier Zahlen fröhlich „Bingo” ruft. „Ah, I hear it every night”, weist der Cruise Director den Störenfried in seine Schranken, so dass es gewohnt gesittet weitergehen kann. Der Columbus Club ist zu dieser Stunde voll und bleibt es auch, als nach dem Bingospiel und vor dem Auftritt der Bordband „Lessons in Love” aus der Konserve kommt. Jugenderinnerungen werden wach; das Lied stammt aus dem Jahr 1986, genau wie die PRINCESS SEAWAYS selber. Kann es sein, dass seitdem tatsächlich 33 Jahre vergangen sind?
Doch Zeit ist relativ. Davon zeugen nicht nur die historischen Reedereiplakate, die in den Kabinenkorridoren Licht auf die bewegte Vergangenheit von DFDS werfen, sondern auch die Modelle diverser alter Schiffe der Reederei, die längst verkauft oder verschrottet sind. Die GARONNE ist darunter (ein Frachtdampfer aus dem Jahr 1899), die HANS BROGE (ein Passagierschiff Baujahr 1939), aber auch „klassische” Autofähren aus den 1970er Jahren wie die AKERSHUS und die ENGLAND. Ein weiteres Schiff dagegen wird die PRINCESS SEAWAYS bald im Mittelmeer wiedersehen: Die PRINCE OF SCANDINAVIA, deren Modell das Foyer auf Deck 6 ziert, gehört als MOBY DREA längst genauso zur Moby-Flotte wie die ehemaligen DFDS-Fähren PRINCESS OF SCANDINAVIA (MOBY OTTA), QUEEN OF SCANDINAVIA (MOBY DADA) und DUKE OF SCANDINAVIA (MOBY CORSE). Moby Lines als Fährmuseum.
Gänzlich unmaritim geht es dafür in Kino 2 zu, wo um 23 Uhr das Elton John-Biopic „Rocketman” zu sehen ist. Das „Bordkino” auf Deck 8 ist eigentlich mehr ein Konferenzraum, der mit gemütlichen Sesseln anstatt mit schnöden Bürostühlen ausgestattet ist. Dass es abgesehen vom Autor dieser Zeilen nur noch von zwei weiteren Zuschauern frequentiert wird, macht es allerdings nicht eben glamouröser. Dafür ist man unter sich und braucht weder das ständige Geraschel der Chips-Tüte des Nachbarn zu befürchten noch den obligatorischen Simultan-Kommentator, der einem im Großkino zu Hause mitunter den cineastischen Genuss verleidet. Dafür hakt auf der PRINCESS SEAWAYS mitten im Film plötzlich die Tonspur. Also runter auf Deck 6, wo der Herr an der Rezeption nach einem Techniker ruft, der das Problem behebt. „Rocketman” bekommt auf diese Weise Überlänge, aber was macht das schon auf einer Nachfahrt nach England, bei der man erst spät am nächsten Morgen ankommt? Die 8,50 € für die Kinokarte sind am Ende jedenfalls gut angelegt, und als um kurz vor 1 Uhr nachts ein letzter Gang über die Decks den ersten Tag an Bord beendet, stellt sich die dustere und verlassene Sky Bar als idealer Rückzugsort für tuschelnde und knutschende Teenager heraus. Ein Hauch von Romantik auf der Fähre nach Newcastle.
North Shields vs. South Shields
Als das Explorer’s Kitchen am nächsten Morgen um 7 Uhr öffnet, ist es draußen noch dunkel. Einen freien Platz zu finden, ist kein Problem, der Erweiterung um das ehemalige Lighthouse Café sei Dank. Auch die Auswahl am Frühstücksbüffet (9,95 € bei Voraus-Buchung, 14,95 € bei Buchung an Bord) ist groß, auch wenn der Apfelsaft arg verdünnt daherkommt. Dafür wird der Morning Tea stilvoll im Kännchen am Tisch serviert, auch das unterscheidet das DFDS-Schiff von so manch anderer Fähre nach England. Bis zur Ankunft sind es zu diesem Zeitpunkt übrigens noch drei Stunden, erst um 10:15 Uhr (9:15 Uhr britischer Zeit) legt die PRINCESS SEAWAYS in North Shields an. Eilig hat es auf diesem Schiff also niemand, woran auch das Wetter nicht ganz unschuldig ist. In typisch englischem Dauerregen und unter dicken grauen Wolken passiert die PRINCESS SEAWAYS um 9:45 Uhr die Mündung des Tyne, da hält sich die Begeisterung naturgemäß in Grenzen, dem Einlaufen auf den Außendecks beizuwohnen. Dabei hält die Einfahrt bei schönem Wetter einiges Sehenswertes bereit: die eintausend Jahre alten Ruinen von Tynemouth Castle z. B., die 1,5 Kilometer lange South Pier, die seit über 100 Jahren trutzig in die Nordsee hineinragt, oder das Denkmal für Admiral Collingwood, die rechte Hand von Lord Nelson in der Schlacht von Trafalgar. Was es dafür kaum zu sehen gibt, sind andere Schiffe. Die Linie nach Amsterdam ist die letzte Fährverbindung, die Newcastle noch aufweist, und auch die Werften des Tyne haben schon bessere Zeiten gesehen. Nur zwei Autotransporter liegen in North Shields, wenigstens der Neuwagen-Export floriert also. Noch, denn wenn man Brexit-Skeptikern glauben darf, geht es auch mit der englischen Autoindustrie bald bergab. Das würde Newcastle in besonderem Maße treffen: Im nahegelegenen Sunderland betreibt Nissan die größte Autofabrik im gesamten Königreich.
Wer mit Auto, Lastwagen oder anderem fahrbaren Untersatz an Bord gekommen ist, verlässt das Schiff unmittelbar nach der Ankunft der Fähre, um sein eigentliches Ziel anzusteuern. Die Minikreuzfahrt-Passagiere dagegen haben nun acht Stunden Zeit, sich entweder die Großstadt Newcastle anzusehen (das 20 Busminuten von North Shields entfernt ist) oder die unmittelbare Umgebung des Fähranlegers zu erkunden. Letztere besteht aus North Shields (Fischereihafen, Leuchtturm), Tynemouth (besagte Schlossruine, Aquarium) und South Shields, das mittels einer Fähre über den Tyne erreichbar ist. Einen römischen Stützpunkt hat es am Südufer des Tyne bereits 80 n. Chr. gegeben, die Stadt selber wurde aber erst im 13. Jahrhundert gegründet. Ihre Glanzzeit hatte sie im 19. Jahrhundert, als in ganz Tyneside Schifffahrt und Schiffbau boomten. Mit dem Niedergang der klassischen Industrien nach dem Zweiten Weltkrieg ging es auch mit South Shields bergab. An diesem verregneten Oktobertag des Jahres 2019 präsentiert sich der Ort als eine sonderbare Mischung aus heruntergekommener Hafenstadt und stellenweise schickem Fast-Seebad. In der kleinen Innenstadt liefern sich Rollatoren und Kinderwagen einen ständigen Kampf um die Hoheit über Bürgersteige und Zebrastreifen, während am Flussufer einige der alten Docks mit teuren Eigentumswohnungen überbaut worden sind, die sich von den Einheimischen sicherlich kaum jemand leisten kann. Größtes Pfund von South Shields ist immer noch der lange Sandstrand, an dem sich die Nordseebrandung bricht wie seit ewigen Zeiten. Die Bewohner von South Shields nennt man daher auch Sand Dancer. Die berühmtesten Söhne der Stadt sind der Regisseur Ridley Scott und der Schauspieler Eric Idle; beide haben South Shields in den 1960er Jahren so schnell es ging verlassen, um ihr Glück in London bzw. Hollywood zu suchen (und zu finden).
Zurück nach Holland
Auf der anderen Seite des Tyne begrüßt ab 15 Uhr Jack the Pirate, das Kindermaskottchen von DFDS, die neu einschiffenden Kinder an Bord der PRINCESS SEAWAYS. Schnell entstehen auch wieder die ersten Teenager-Sitzpartys auf und unter den Treppen bzw. an den großen Panoramafenstern zu beiden Seiten des Schiffes. Die Landgänger dagegen müssen erst einmal ihre durchnässten Jacken, Hosen und Schuhe zum Trocknen bringen, ehe sie an Teil zwei ihrer Minikreuzfahrt denken können. Die wie schon gestern in IJmuiden mehr als zeitig beginnt. Denn statt um 18 Uhr ertönt die Auslaufmusik diesmal bereits um 17:30 Uhr und damit eine halbe Stunde zu früh. Also schnell an Deck, um die Ausfahrt nicht zu verpassen, ehe die ewig grauen Wellen der Nordsee die PRINCESS SEAWAYS gefangen nehmen.
Immerhin hat sich das Wetter gegenüber heute Morgen ein wenig gebessert. Was aber auch nur bedeutet, dass es nicht mehr Bindfäden regnet, sondern nur noch ein wenig nieselt. Die Sonne versteckt sich weiter hinter dicken Wolken. Daran kann auch Kapitän Vang nichts ändern, als dieser um Punkt 18 Uhr mit seiner Borddurchsage die neuen und alten Passagiere der PRINCESS SEAWAYS begrüßt. Er teilt Details zur Wetter- und Seewettervorhersage mit, dann entlässt er uns auch schon wieder in den Bordalltag. Der Sea Shop öffnet, die beiden Kinos ebenso und natürlich die Restaurants. Dort gewährt uns der dänische Chefkoch Tommy Åkjær einen seltenen Blick hinter die Kulissen. Er erzählt von den Herausforderungen der Proviantkalkulation, von den unterschiedlichen Geschmäckern der Holländer, Engländer und Deutschen und dass es natürlich in allen Belangen einen reederei-internen Wettbewerb mit dem Schwesterschiff KING SEAWAYS gebe. Auch er ist überdies in Vorfreude auf das neue Schiff, das ab Februar sein Arbeitsplatz ist. Bis dahin aber hat selbstverständlich die Kundenzufriedenheit auf der PRINCESS SEAWAYS höchste Priorität. An die Enge der Kombüse hat er sich dabei längst gewöhnt. Jeder Handgriff muss sitzen, damit hier in kürzester Zeit Mahlzeiten für bis zu 1.250 Passagiere in zwei Restaurants zubereitet werden können. Eine kleine Meisterleistung.
Als nach dem Abendessen das letzte Glas Newcastle Brown Ale geleert ist, ist die Minikreuzfahrt zwei Decks höher wieder in vollem Gange. Der Columbus Club auf Deck ist um 22:30 Uhr rappelvoll. Auf der Tanzfläche wird Macarena getanzt, eine Mischung aus Polonäse und Ententanz, die so vermutlich keine Tanzschule der Welt lehrt. Aber die Passagiere der PRINCESS SEAWAYS haben Spaß, das ist die Hauptsache. Im Navigators Pub erfreut sich unterdessen auch das Repertoire des Troubadours großer Beliebtheit. „My Girl” gehört dazu, aber auch „Major Tom”. Sogar rings um die beiden Kasinotische herrscht Gedränge, während in der Compass Bar der Deutsche Fährschifffahrtsverein bei Bier und Wein über alte und neue Fähren fachsimpelt. Auch er hat sich die PRINCESS SEAWAYS für seine diesjährige Vereinsfahrt ausgesucht. Als Abschiedsreise sozusagen, immerhin sind viele seiner Mitglieder mit genau diesem Schiff groß geworden. Dass es jetzt ins Mittelmeer verschwinden soll, wollen viele gar nicht recht wahrhaben.
Einen herrlichen Kontrast zur Bierseligkeit an den Bars und in der Disco bietet auch an diesem Abend wieder die dunkle Sky Bar hoch oben auf Deck 11. Optische Umweltverschmutzung, wie sie in unseren Großstädten längst zum Alltag gehört, ist hier nämlich noch ein Fremdwort. Der nächtliche Sternenhimmel über dem Schiff ist um kurz vor Mitternacht sagenhaft; schade nur, dass es keinen Bordastronomen gibt, der einem die Sterne auch noch erklärt. Kaum etwas eignet sich schließlich besser zum Sterne-Gucken als die Dunkelheit des Nachthimmels auf See. Auf der PRINCESS SEAWAYS wird die Magie des Augenblicks nur unterbrochen von ein paar grölenden holländischen Jugendlichen ein Deck tiefer.
Im Columbus Club dagegen tanzt man zu einer Techno-Version von „Country Roads” in die Nacht. Die Musik ist laut, aber es geht zivilisiert zu, was man nicht von jeder Überfahrt auf dieser Route sagen kann. Vor allem dann nicht, wenn Fußballfans oder Junggesellenabschiede die Macht an Bord zu übernehmen versuchen. Diese Gefahr besteht heute aber nicht. Ziemlich bald nach Mitternacht kehrt Ruhe im Schiff ein. Die Coffee Crew-Cafeteria ist menschenleer, und auch die Compass Bar will offenbar lieber früher als später schließen, trinkfreudige deutsche Schiffsliebhaber hin oder her. Auch die Teenie-Sitzpartys haben sich entweder aufgelöst oder (wahrscheinlicher) in die Kabinenkorridore verlagert, wo man mehr oder weniger ungestört ist. Das Treffen mit der KING SEAWAYS, das laut Reise-Faltblatt jede Nacht um 1.30 Uhr stattfindet, bekommt daher nur noch der wachhabende Offizier auf der Brücke mit. Demnächst findet es im Tyrrhenischen Meer statt, wenn die beiden DFDS-Oldies das italienische Festland mit Sardinien verbinden. Schade eigentlich.
Epilog
Die MOBY WONDER und MOBY AKI waren bereits in Genua in der Werft, wo sich leitende DFDS-Angestellte bereits ein Bild von ihren neuen Englandfähren machten, als die Dinge Mitte Oktober 2019 plötzlich eine unerwartete Wendung nahmen. Wie sich herausstellte, lastete auf den Moby-Schiffen noch eine Hypothek, welche die beteiligte Bank nicht ohne weiteres freigeben wollte. Auf diese Weise kam der vereinbarte Verkaufsvertrag mit DFDS nicht zustande, und die beiden Moby-Fähren blieben im Besitz der italienischen Reederei. DFDS informierte am 29. Oktober 2019 in einer Pressemitteilung über die neue Situation. Die Schiffe, die die Linie Amsterdam – Newcastle ursprünglich im Januar (KING SEAWAYS) bzw. Februar 2020 (PRINCESS SEAWAYS) verlassen sollten, verbleiben demzufolge bis auf weiteres auf der Verbindung. Man prüfe aber in der Zwischenzeit andere Lösungen für die Verjüngung des Flottenpaares. Es werden also neue Englandfähren kommen, es ist nun aber wieder offen, wann und welche. Für die PRINCESS SEAWAYS bedeutet dies einen Abschied von der Nordsee auf Raten.
https://www.dfds.com/de-de/passagierfaehren
Technische Daten und Steckbrief MS PRINCESS SEAWAYS
Bauwerft: Schichau-Seebeckwerft AG, Bremerhaven, 1986; Im Dienst: seit dem 02.06.1986; Ex-Namen: PETER PAN -1993, SPIRIT OF TASMANIA -2003, FJORD NORWAY -2006, PRINCESS OF NORWAY -2011; Flagge: Dänemark; Heimathafen: Kopenhagen; Tonnage: 31.356 BRZ; Länge: 162,74 Meter; Breite: 27,60 Meter; Tiefgang: 6,20 Meter; Passagiere: 1.250; Kabinen: 478; Autos: 600; Fracht: 1.460 Lademeter; Leistung: 19.570 kW; Höchstgeschwindigkeit: 21,5 Knoten.
Abfahrt aus IJmuiden. Der Außenposten Amsterdams dient vor allem als Fischereihafen, wird aber auch von immer mehr Kreuzfahrtschiffen angelaufen.
Jeden Abend um 17:30 Uhr macht sich eine der beiden DFDS-Fähren in IJmuiden auf den Weg ins 264 Seemeilen entfernte North Shields.
Außenkabine 5009 an Bord der PRINCESS SEAWAYS – in hübschen Blautönen gehalten, aber nicht riesig. Zu TT-Line-Zeiten trug die Kabine die Nr. F 471.
Das „Coffee Crew” ist eine kleine Cafeteria gleich neben dem Kinderspielzimmer „Pirate Island” auf Deck 7.
Das edle „North Sea Bistro” erfüllt die höchsten kulinarischen Ansprüche auf der Überfahrt nach England.
Chefkoch Tommy Åkjær bei einer Führung durch sein „Reich” – die kleine, aber höchst produktive Schiffsküche auf Deck 7.
Der Columbus Club am Heck des Schiffes dient abends der musikalischen Unterhaltung und dem obligatorischen Bingo-Spiel an Bord.
Das Büffetrestaurant „Explorers Kitchen” wurde mit dem Wegfall des „Lighthouse Café” auf Deck 7 erheblich erweitert.
Ein Hoch auf Ronald! Die frisch gebackenen Brötchen an Bord der PRINCESS SEAWAYS sind zum Frühstück ein Genuss.
Ankunft unter grauen Regenwolken: Die anderthalb Kilometer lange Mole von South Shields trennt die Mündung des Tyne von der mitunter wilden Nordsee.
An Steuerbord grüßen beim Einlaufen in den Tyne die Ruinen von Tynemouth Castle und das Denkmal für Admiral Collingwood.
Die SPIRIT OF THE TYNE verbindet zusammen mit einer zweiten Flussfähre die Hafenstädte North Shields und South Shields.
Das eine oder andere fröhlich bunt angestrichene Pub belebt die Häuserzeilen von South Shields. Trotzdem hat die Stadt
schon bessere Zeiten gesehen.
Wie in vielen englischen Hafenstädten werden auch in South Shields die nicht mehr genutzten Docks nach und nach mit
neuen Eigentumswohnungen bebaut.
Die PRINCESS SEAWAYS an ihrem Anleger in North Shields. Aufgrund des nicht zustande gekommenen Flottentausches mit Moby Lines bleibt sie auch 2020 weiter für DFDS in Dienst auf der Nordsee.