EDITORIAL · AUSGABE 1/2020
Corona erschüttert die Kreuzfahrt-Branche
Überlegungen von Herbert Fricke aus aktuellem Anlass
Schock für den internationalen See-Tourismus: das tückische Corona-Virus hat nun auch die Kreuzfahrt massiv erreicht. Schon etliche Schiffe mussten unter Quarantäne gestellt werden, in Japan, China, Italien und anderen Ländern. Betroffen von den aktuellen Schutzmaßnahmen sind Zehntausende von Kreuzfahrtgästen, darunter auch viele Deutsche. Betroffen ist aber auch die gesamte bisher so prosperierende Branche, nicht nur touristisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich. Die Folgen für die Schifffahrts-Konzerne, Häfen, Routenplaner und für den gesamten Bereich des internationalen maritimen Tourismus sind noch gar nicht absehbar. Das Ganze ist ein Drama, für das es keinen „Schuldigen” gibt. Wir teilen die Sorge einer ganzen Branche. Wir hoffen mit all den Kreuzfahrtgästen und Besatzungsmitgliedern, dass dieser Einbruch ein vorübergehendes Ereignis bleibt und dass diese Seuche bald überwunden werden kann! Wir setzen auf die Zukunft und das Können der internationalen Pharmazie – in aller Welt wird mit Hochdruck an einem wirksamen Impfstoff geforscht. Auch und gerade in Deutschland.
Bei all unserer Empathie und Solidarität für die Kreuzfahrtbranche (über die wir seit Jahrzehnten mit Erfolg berichten!), müssen wir aber auch an unsere so häufig wiederholten Warnungen erinnern: immer wieder, in Editorials, Reisereportagen, Meldungen und Kommentaren, haben wir als sachkundige Autoren und Reporter des SeereisenMagazin vor der ungebremsten Hausse dieses Marktes gewarnt. Und wir haben immer wieder auf die Risiken der rasant wachsenden Ausmaße der Schiffsgrößen hingewiesen. Auch haben wir auf die absehbaren wirtschaftlichen Konsequenzen dieses ungebremsten Kreuzfahrt-Wachstums hingewiesen. Auf die Risiken der Jahr für Jahr höher, breiter und länger werdenden Schiffsgiganten. Und die damit verbundenen Gefahren. Wie soll man bei Havarien all diese Menschenmassen evakuieren? Wie kann man Hygiene und Schutzmaßnahmen auf so engem Raum wirksam steuern? Wir haben auch gewarnt, immer und immer wieder: nämlich vor den Folgen des Massenansturms für Häfen, Meere, Einwohner und Umwelt.
Dies ist nicht die Stunde für Rechthaberei. Dieses üble Virus sollte aber eine Zäsur für das Denken in rein wirtschaftlichen Kategorien sein! Kreuzfahrt kann eine so wunderbare Variante des Tourismus sein. Jahrzehntelang war das Kennenlernen des Globus an Bord eines Kreuzfahrtschiffes die schönste Reise-Art überhaupt. Deshalb haben wir ja auch immer wieder unsere Reise-Reportagen, unsere Foto-Strecken, unsere maritime Begeisterung an Sie, unsere Leser und Leserinnen weitergegeben.
Bis uns dann der Gigantismus quasi überrollte. Gesteuert vor allem von amerikanischen Shareholdern und Moneymakern. Rund 90 Prozent der internationalen Kreuzfahrt-Tonnage firmieren ja unter den Flaggen zweier amerikanischer Großkonzerne: Royal Caribbean und Carnival Cruises, beide sesshaft in Miami/USA. Auch die deutschen Branchenriesen TUI Cruises, AIDA Cruises und Hapag-Lloyd gehören dazu. Diesen Gesellschaften kam es nur darauf an, den Wert der steuerbefreiten Einlagen ihrer milliardenschweren Anteilseigner möglichst ständig und möglichst schnell zu erhöhen. Business as usual eben. But: the bigger the deal als einziges Ziel?
Denn in der Kreuzfahrt war „immer größer” nicht gleichzusetzen mit „immer besser”. Mit der schieren Masse sank die Klasse. Das soziale Milieu der Kreuzfahrer glitt stetig bergab in Richtung Ballermann auf See. Natürlich befürworte ich von Herzen die Tatsache, dass Kreuzfahrten nun auch für weniger wohlhabende Seetouristen erschwinglich wurden. Aber müssen es wirklich sechstausend Menschen auf einem Schiff sein? Plus zweitausend Besatzungsmitglieder? Ich mache doch auch an Land nicht Urlaub in einem Hotel, in dem auf engem Raum 8.000 Menschen leben!
Dieses Missverständnis einer ganzen Branche scheint nun zu kippen. Nicht nur durch das kleine tückische Virus. Sondern auch durch die Grenzen des Wachstums. Durch den tagtäglichen Andrang dieser gigantischen Flotte in einer natürlich beschränkten Anzahl von Anlauf-Häfen und Terminals. Barcelona, Dubrovnik, Venedig, Kopenhagen, Riga, Papeete, Rio de Janeiro und etliche andere „Destinationen” spielen so nicht mehr mit. Die Ablehnung des maritimen Gigantismus wächst an vielen Orten, neuerdings sogar auch in Nord- und Südamerika und der Karibik. Wir haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass sich eine Branche auch totwachsen kann. Wie ein künstlich gezüchteter Riesenkürbis, der dann auch nicht mehr nach Kürbis schmeckt.
Gerade sind auch die Ostasiaten auf den Geschmack gekommen und haben in Wismar und Rostock zwei extrem gigantische Kreuzfahrt-Riesen für den chinesischen Markt bauen lassen. Schiffe für 8.000 chinesische Passagiere plus Besatzung. Gebaut auch mit Hilfe deutscher Steuergelder aus dem Schiffbau-Topf in Mecklenburg-Vorpommern. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) schämt sich hinter einer gelben Atemmaske. Werden die Schiffe in China nun zu Hospitalschiffen oder – Truppentransportern umgerüstet?
Das fragt sich: Ihr Herbert Fricke