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20118 16 MERCANDIA IV Helsingoer18 2019 Kai Ortel  Die MERCANDIA IV – 2019 in ihrem neuen und vermutlich letzten Farbkleid der Reederei „ForSea” – passiert Schloss Kronborg in Helsingør. Fotos: Kai Ortel, Berlin

Kai Ortel

MERCANDIA IV – die letzte der Superflex-Fähren

Die meisten Schiffe passen genau in die Zeit, in der sie gebaut und in Dienst gestellt werden. Einige sind ihrer Zeit sogar voraus, andere wiederum hinken ihr hinterher. Die Ostseefähre MERCANDIA IV gehört zu letzteren, war aber dennoch bis zuletzt tapfer im Passagierverkehr auf der Ostsee im Einsatz.
Die MERCANDIA IV ist eine von 15 Fähren vom Typ „Superflex 2000”, die Ende der 1980er Jahre in Nordengland gebaut wurden. Sie waren das geistige Kind der dänischen Unternehmen PZ Trading und Vognmandsruten (VR); letztere hatte 1984 einen Frachtfährdienst in Konkurrenz zu den etablierten Eisenbahnfähren der Dänischen Staatsbahnen DSB über den Großen Belt aufgenommen. PZ Trading (das Kürzel steht für den Inhaber Peter Zacchi) entwarf 1985 den Typus einer zuverlässigen Tagesfähre mit vergleichsweise hoher Kapazität, geringen Betriebskosten, exzellenten Manövriereigenschaften und einer „superflexiblen” Beladung, der weltweit vermarktet und zum Einsatz kommen sollte. 24 Superflex-Einheiten waren geplant, für 12 weitere bestand eine Option.
Das Konzept ging aber nicht auf. Die ersten beiden Schiffe (SUPERFLEX ALFA und SUPERFLEX BRAVO, benannt nach den Buchstaben des internationalen Funkalphabets) erwiesen sich als störanfällig, was nicht zuletzt an der unkonventionellen Technik der Fähren lag. Die symmetrischen Doppelendfähren waren ohne Maschinenraum konzipiert, was Gewicht und Platz im Schiffsrumpf sparte; stattdessen standen zehn kleine dieselelektrische Generatoren (sogenannte „Power Packs”) in eigenen Containern praktisch mitten auf dem oberen Autodeck, fünf an jeder Seite. Da die Schiffe so jedoch über keine klassischen Schornsteine verfügten, verteilten sich die Abgase an Bord quer über die Decks. Darüber hinaus erwies sich die angepeilte Leistung als zu niedrig, die Inneneinrichtung als spartanisch, der Treibstoffverbrauch war höher als geplant, die Thruster versagten regelmäßig ihren Dienst, und die angeblich schallisolierten Generatoren waren auch noch über die Maßen laut. Die im Bau von Fähren unerfahrene Werft North East Shipbuilders (NESB) in Sunderland musste daher jedes der neuen Schiffe aufwendig nachbessern, da Vognmandsruten die Abnahme verweigerte. Auf diese Weise konnten auch die vereinbarten Ablieferungstermine nicht eingehalten werden; an einen weltweiten Verkauf der Schiffe war nach diesem PR-Desaster ohnehin nicht mehr zu denken. Im Sommer 1988 wurde mit der SUPERFLEX NOVEMBER, der heutigen MERCANDIA IV, das 15. und letzte Schiff auf Kiel gelegt. Die verbleibenden neun Einheiten wurden nie gebaut, und inmitten der folgenden Klagewelle musste die englische Werft schließlich Konkurs anmelden.
Von den 15 zu bauenden Einheiten sollten außerdem auch nur noch acht an Vognmandsruten (statt an PZ Trading) abgeliefert werden, die übrigen sieben musste NESB auf eigene Kosten und eigenes Risiko fertig stellen. Keine leichte Aufgabe, da praktisch niemand die Schiffe haben wollte. Selbst Vognmandsruten hatte auf der Route Nyborg – Korsør nur Bedarf für drei Fähren plus ein Ersatzschiff. 1989 erbarmte sich schließlich der dänische Reeder Per Henriksen, die sieben verbleibenden Einheiten zu einem Freundschaftspreis abzunehmen, der unter dem Baupreis der Fähren lag. Die Schiffe sollten nach weiteren Umbauten auf den Fährlinien seiner Mercandia Rederi über den Großen Belt zum Einsatz kommen, blieben aber teilweise noch ein bis zwei weitere Jahre beschäftigungslos in verschiedenen Häfen aufgelegt.
Denn neue Probleme standen der dänischen Fährschifffahrt im Allgemeinen und den Superflex-Fähren im Besonderen ins Haus: 1988 hatte man mit dem Bau der „Storebæltsforbindelsen” begonnen, der festen Querung des Großen Belts, die Mitte der 1990er Jahre die dortigen Eisenbahn- und Autofährlinien überflüssig machen würde. Auf ein ähnliches Projekt, die feste Querung des Öresunds, einigten sich Dänemark und Schweden 1991. Ende der 1990er würde die dänische Fährschifffahrt (oder vielmehr das, was dann noch von ihr übrig wäre) also vollkommen anders aussehen als zu dem Zeitpunkt, als PZ Trading Mitte der 1980er Jahre seine 24, möglicherweise sogar 36 „superflexiblen” Fähren entwarf. Zudem sorgte die Deutsche Einheit Anfang der 1990er Jahre für eine Verlagerung der Verkehrsströme in der südlichen Ostsee, was man vor allem am Fehmarnbelt spürte, wo ein Einsatz der Superflex-Fähren ursprünglich ebenfalls angedacht gewesen war.
Die SUPERFLEX NOVEMBER, die letzte der Superflex-Fähren, war also Zeit ihres Schiffslebens eine Getriebene. Am 06.06.1986 in Auftrag gegeben, lief das Schiff infolge der Querelen um seine Schwestern erst am 12.12.1988 vom Stapel. Abgeliefert wurde es am 12.07.1989 als MERCANDIA IV, in der Folge aber von der Mercandia Rederi zunächst beschäftigungslos in Fredericia aufgelegt. Dort erfolgten in jenem Jahr weitere Umbauten, ehe das Schiff am 01.11.1990 schließlich auf der Verbindung Juelsminde – Kalundborg in Dienst gestellt wurde. Auf der als „KattegatBroen” vermarkteten Verbindung über den nördlichen Großen Belt verkehrte die MERCANDIA IV zusammen mit ihren Schwesterschiffen MERCANDIA I (ex SUPERFLEX KILO) und MERCANDIA II (ex SUPERFLEX LIMA), aber da waren die Tage der Route wegen besagter fester Querung bereits mehr oder weniger gezählt.
Per Henriksen hatte aber ein neues Projekt, in dem er die MERCANDIA IV einer Verwendung zuführen wollte. Unter dem Namen „SundBroen” wollte Mercandia künftig der Reederei Scandlines auf dem Öresund Konkurrenz machen. Deren 15 Minuten-Verbindung zwischen Helsingør und Helsingborg war zwar angesichts der im Bau befindlichen Öresundbrücke ebenfalls in ihrer Existenz bedroht, aber das schreckte Henriksen vorerst nicht, die MERCANDIA IV auf ebendieser Linie ebenfalls einzusetzen. Ironischerweise stellte er der ehemaligen SUPERFLEX NOVEMBER als zweites Schiff eine weitere ehemalige Superflex-Fähre zur Seite: die MERCANDIA VIII (ex SUPERFLEX BRAVO). Am 01.06.1996 nahmen die beiden Schiffe ihren Dienst auf, wobei die Inneneinrichtung kurzfristig noch um einen Duty Free-Shop erweitert wurde. Das machte sie zwar immer noch nicht attraktiver als die beiden noch relativ jungen Scandlines-Fähren TYCHO BRAHE und AURORA AF HELSINGBORG, aber SundBroen hatte trotz anfänglicher Zweifel Bestand. Wobei die Mercandia-Fähren in Helsingborg nicht am „Knutpunkten” anlegten, dem Terminal der Scandlines-Fähren, das direkt mit dem unterirdischen Bahnhof der Stadt verbunden ist, sondern im Südhafen, was die Route zumindest für Fußpassagiere unattraktiv machte. Aber das war Nebensache, solange der zollfreie Bordverkauf noch ausreichende Nebeneinkünfte abwarf.
Auch damit sollte jedoch bald Schluss sein; im Juli 1999 wurde der Duty Free-Verkauf innerhalb der Europäischen Union abgeschafft. Zu diesem Zeitpunkt hatte die MERCANDIA IV aber bereits wieder einen neuen Besitzer. Seit April 1997 bereits firmierte der Fährbetrieb als „HH-Ferries”, im März 1999 kauften die neuen Eigentümer die bis dahin nur gecharterten ehemaligen Superflex-Fähren ihrem Vorbesitzer Mercandia ab. Die Gründer von HH-Ferries zogen sich jedoch schon 2001 ebenfalls wieder aus dem Geschäft zurück und veräußerten die Route an die Stena Line, die über ihre Tochtergesellschaft Scandlines AB auch am Öresundbetrieb des Konkurrenten beteiligt war. Zu einer formalen Zusammenarbeit zwischen Scandlines und HH-Ferries (der eingeführte Markenname blieb während dieser Zeit erhalten) kam es aber erst ab 2009. Für die MERCANDIA IV änderte sich in dieser Zeit wenig, auch wenn in der Nebensaison fünf Schiffe auf der Route zu viel waren und entweder sie oder ihr Schwesterschiff MERCANDIA VIII vorübergehend aufgelegt wurde.
Was nach 22 Dienstjahren kaum noch vorstellbar war, geschah Anfang 2012 schließlich doch noch: Die MERCANDIA IV wurde einem größeren Umbau unterzogen, um sie an den Standard der Scandlines-Fähren anzupassen. Hierzu erhielt das Schiff eine Cafeteria an seiner „Westseite”, mit der Symmetrie an Bord war es nun also endgültig vorbei. Auch äußerlich ist der Umbau seitdem in Form der eingebauten Panoramafenster gut zu erkennen. Die Markennamen der Verkaufsstellen an Bord wurden angepasst, und es wurden Gangways geschaffen, wo man das Schiff vorher über das offene Deck betrat oder verließ. Keine Frage: Die MERCANDIA IV war auf ihre alten Tage komfortabler geworden. Und einen neuen Eigentümer bekam sie auch noch einmal: Anfang 2015 wurde die Verbindung Helsingør – Helsingborg aus dem Scandlines-Konzern herausgelöst und an First State Investments verkauft. Den Namen „Scandlines” durfte man vorerst beibehalten, erst Ende 2018 firmierte der Fährbetrieb um. Neuer Name war nun „ForSea Ferries”, was der inzwischen fast 30 Jahren MERCANDIA IV immerhin ein weiteres neues Farbkleid verschaffte – das fünfte seit ihrer Ablieferung.
In dieser Reinkarnation fahren wir mit der letzten der Superflex-Fähren an einem sonnigen Februar-Nachmittag 2019 von Helsingborg nach Helsingør. Seit der Bildung der Fahrplangemeinschaft zwischen Scandlines und HH-Ferries 2009 dürfen auch die MERCANDIA IV und MERCANDIA VIII in Helsingborg am Knutpunkten anlegen, der Fußmarsch um das Hafenbecken entfällt also auf schwedischer Seite.
Im Innern des Schiffes gibt es weiterhin nur ein einziges Passagierdeck (Deck 4), dafür verläuft nun eine breite Arkade vom „Ristretto Coffee House” (31 Plätze) am Ostende des Schiffes zur Cafeteria „FoodXpress” (153 Plätze) am Westende. In letzterer befindet sich, einem Aquarium nicht unähnlich, die „Commuter Lounge” (29 Plätze), während mittschiffs die „Drivers Lounge” (14 Plätze) und der Bord-Shop gelegen sind. Während die große Cafeteria durch ihre knallroten Ledersessel besticht, kommt die Commuters Lounge mit ihren Blau-, Schwarz- und Weißtönen wesentlich gediegener daher. Die kleine, aber feine Kaffeebar mutet sogar geradezu chic an; an das spartanische Ambiente der alten Superflex-Fähren erinnert hier seit dem Umbau unter der Regie der Stena-Tochter Figura Arkitekter nichts mehr. Nur auf dem Außendeck (Deck 5) geht es noch fast so zu wie in den späten 1980er Jahren. Die Treppen sind eng und steil, die inzwischen verlängerten Abgaspfosten gucken wie eh und je an den Schiffsseiten heraus, und wenn man vom einen Ende der Fähre zum anderen möchte, muss man unter den Davits den Kopf einziehen, um sich nicht zu stoßen. Ein paar Holzbänke erinnern eher an einen Autobahnrastplatz als an eine moderne Ostseefähre, aber dafür ist hier immer noch mehr Platz an der frischen Luft als auf einer AURORA AF HELSINGBORG, wo mittlerweile ein Großteil des Oberdecks mit Batterieräumen zugebaut ist.
Letztere lässt die MERCANDIA IV um kurz nach 15:30 Uhr hinter sich, als sie in Helsingborg Kurs auf das gegenüberliegende Helsingør nimmt. Für die meisten Passagiere der perfekte Zeitpunkt, sich unter Deck ein Mini-Menü zu gönnen – einen Kaffee plus Wenerbrød (Blätterteig-Quarktasche) für 34 Kronen oder zwei Garnelen und ein Bier (zwei rote und ein grünes, wie der Däne sagt) für 64 Kronen. Wenn es voll ist auf der kleinen MERCANDIA IV, geht es unter Deck ganz schön wuselig zu, aber es sind ja nur 15 Minuten, bis sie schon wieder auf dänischer Seite festmacht. Die reichen noch für einen kurzen Besuch im Shop, dann kommt an Steuerbord auch schon wieder Schloss Kronborg in Sicht, und man versammelt sich zum Landgang oder muss die steilen Treppen zum Autodeck hinunter.
Seit dem 01.09.2019 sind diese Zeiten allerdings vorbei. ForSea Ferries hat beschlossen, die MERCANDIA IV künftig nur noch als Frachtfähre einzusetzen, der Rückgang der Passagierzahlen habe diese Entscheidung notwendig gemacht, zudem bevorzugten die Kunden die drei moderneren Fähren, hieß es. Cafeteria und Bord-Shop sind seitdem geschlossen, ähnlich wie die KRONPRINS FREDERIK zwischen Dänemark und Deutschland hat nun auch die kleine MERCANDIA IV eine Gnadenfrist bekommen, bis auch diese irgendwann ausläuft. Schade eigentlich, denn das „hässliche Entlein” der Öresund-Flotte hatte sich zuletzt ganz schön herausgeputzt. Den Status der Reservefähre wird in Zukunft wohl die MERCANDIA VIII übernehmen, die allerdings nicht in der gleichen Art umgebaut worden ist wie ihre Schwester und zuletzt oft verchartert war.
Die beiden sind übrigens die letzten der 15 ehemaligen Superflex-Fähren in der Ostsee. Drei sind mittlerweile verschrottet, vier verkehren in Fernost, fünf im Mittelmeer und eine in der Karibik. Manche davon mehr schlecht als recht und alle x-fach umgebaut, aber immerhin. Auf diese Weise ist die Vision von Peter Zacchi aus dem Jahr 1985 doch noch wahr geworden. Wenigstens ein bisschen.

Technische Daten und Steckbrief MS MERCANDIA IV
Bauwerft: North East Shipbuilders, Sunderland (Großbritannien); Im Dienst: seit dem 01.11.1990; Ex-Namen: SUPERFLEX NOVEMBER; Flagge: Dänemark; Heimathafen: Kopenhagen; Tonnage: 4.511 BRZ (ursprünglich 4.296); Länge: 95,50 Meter; Breite: 15,30 Meter; Tiefgang: 3,50 Meter; Passagiere: 383 (ursprünglich 300); PKW: 110; Fracht: 290 Lademeter; Besatzung: 16 (ursprünglich 7); Leistung: 2.750 kW; Höchstgeschwindigkeit: 13,4 Knoten.

 

20118 01 MERCANDIA IV Helsingoer5 2019 Kai OrtelDie MERCANDIA IV an ihrem Anleger im Hafen von Helsingborg.

20118 06 MERCANDIA IV Helsingoer1 2019 Kai OrtelBlick von Schloss Kronborg auf die Öresundfähren von Scandlines und HH-Ferries (2016). Die Fähren tragen unterschiedliche Anstriche, verkehren aber in einer Fahrplangemeinschaft.

20118 08 MERCANDIA IV Helsingoer2 2019 Kai OrtelKein Vergleich zu Superflex-Zeiten: Die fröhlich bunte Inneneinrichtung der Cafeteria der MERCANDIA IV.

20118 09 MERCANDIA IV Helsingoer1 2019 Kai OrtelDie Commuter Lounge verspricht für einige Minuten Ruhe und Entspannung auf der ansonsten mitunter hektischen Öresund-Überfahrt.

20118 11 MERCANDIA IV Helsingoer2 2019 Kai OrtelBlick über die Arkade der MERCANDIA IV vom Ost- zum Westende des Schiffes: links die Ristretto Coffee Bar, dahinter der Eingang zur Cafeteria.

20118 13 MERCANDIA IV Helsingoer3 2019 Kai OrtelSuperflex-Charme: Einfache Holzbänke stehen auf dem Sonnendeck bereit, die Abgaspfosten ragen in die Luft, und gleich neben dem Rettungsboot geht es hinauf zur mittschiffs angeordneten Kommandobrücke.

20118 17 MERCANDIA IV Helsingoer31 2019 Kai OrtelEinlaufen in Helsingør. Die beiden Mercandia-Fähren nutzen hier einen anderen Anleger als die drei Scandlines-Fähren.

20118 19 MERCANDIA IV Helsingoer28 2019 Kai OrtelSchloss Kronborg in Helsingør ist weltbekannt als das „Hamlet”-Schloss, in dem Shakespeare sein gleichnamiges Drama ansiedelte.