SOUTHERN CROSS II · AUSGABE 1/2020
Container und Autos werden mit eigenem Geschirr gelöscht. Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund
Dr. Peer Schmidt-Walther
Ein Arbeitspferd unterm Kreuz des Südens
Impressionen zwischen Neuseeland und Samoa
„Haere mai – welcome!” strahlt der dunkelhäutige Maori-Hafenarbeiter an der Gangway. Und wenig später Lutz H.: „Da ist ja unsere sprechende Ladung!” Er lacht über seinen Begrüßungs-Scherz, dass die kleine Messe dröhnt. Obwohl der SOUTHERN CROSS II-Kapitän kurz vor dem Auslaufen alles andere im Kopf hat als seine beiden Passagiere.
„Relaxt erst mal”, empfiehlt er den müden Ankömmlingen, denen der 25-Stunden-Flug samt zwölf Stunden Jet-lag noch in den Knochen steckt. Beide 80-Tonnen-Kräne packen gerade die letzten Container und schwenken obendrauf reihenweise Altautos mit polynesischen Ziel-Schildern hinter den Scheiben. Wie im Seegang legt sich der 5350-Tonner dann jedes Mal ächzend auf die Seite. Rupert, Agent des Charterers Reef Shipping/Pacific direct, knallt zu guter Letzt noch einen Stapel Formulare auf den Tisch. Heldt gerät zähneknirschend zum Papiertiger und unterschreibt im Eiltempo. Am Heck hat ein Schlepper angespannt. Die Leinen klatschen ins Wasser. Über den Achtersteven dreht der voll beladene Frachter schwerfällig aus dem Hafen von Auckland und nimmt langsam Fahrt auf. Fernsehturm und Wolkenkratzer-Kulisse schrumpfen mit jeder Seemeile.
Weit schweift der Blick vom Peildeck über die malerische Bucht der neuseeländischen Metropole: satt grüne Hügel, darin versteckt endlose Reihen von schmucken Bungalows. Sandstrand vor der Haustür inklusive. Da werden Auswanderer-Träume wach.
Für meinen Reisebegleiter, Crewkamerad und ehemaliger U-Boot-Kommandant, eine völlig neue Perspektive. Ist er doch so noch nie zur See gefahren.
Steuermanns-Überraschung
Die schroffen Felsklötze der Great Barrier Islands verwirbeln als letzte Vorposten im Kielwasser. Südpazifische Dünung hebt und senkt jetzt den knapp 100 Meter langen Inselversorger im gleichmäßigen Wellen-Rhythmus. Hin und wieder steigen Gischtkaskaden über die Back.
Lutz H. hat gerade die Wache übernommen – und lacht wieder mal scheppernd. Sein Markenzeichen, das auch den Zweiten, besser: die Zweite, ansteckt. Als Frau Steuermann nämlich steht Katrin von 04/16 bis 08/20 Uhr auf der Brücke. Die junge Frau mit den langen blonden Haaren sieht eher aus wie ein Teenager, hat aber bereits das Kapitänspatent in der Tasche. Nach dem Examen an der Fachhochschule Elsfleth ist die SOUTHERN CROSS II ihr erstes Kommando. Mit Eifer wälzt sie Staupläne, ihr fachliches Steckenpferd. „Bei dem Gemischtwaren-Laden – Zement auf Paletten, Telegrafenpfähle, Baustahl, Autos und Container – muss man verdammt aufpassen, dass das Löschen in den Häfen ohne große Zeitverluste abgeht”, erklärt sie ernst, schlüpft in ihren leuchtend gelben Overall, stülpt den Schutzhelm über ihre Locken und klettert nach unten. Ihr verantwortungsvolles Motto: „Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser.”
Geschenk des Himmels
Wir sind allein in der endlosen Weite des Südpazifiks. Kurs Nordost. Tief unter dem Kiel der „South Fidji Ridge”, ein untermeerischer Rücken. „Hier zeigt das Radar tagelang keine Echos an”, beginnt der schlanke Fünfziger mit der grauen Künstlermähne den abendlichen Brückenschnack. Unser Fahrtgebiet Polynesien, das „Wasserland der vielen tausend Inseln”, ist riesengroß, hören wir. Immerhin 1091 Seemeilen liegen bis Nuku’alofa auf Tonga vor uns. „Da sind wir meistens allein”, weiß Lutz H. die Ruhe zu schätzen. Viel befahrene Seegebiete wie zum Beispiel die Ostsee sind nicht sein Ding. „Außerdem ist’s mir da zu kalt”.
Über uns strahlt ein „Geschenk des Himmels”: das Kreuz des Südens, nach dem der Frachter benannt wurde. Für die alten Südsee-Völker war das markante Sternbild eine naturgegebene, lebensnotwendige Navigationshilfe. „Heute”, so der Kapitän, „zeigt uns das GPS jederzeit die genaue Position an”. Kurzer Blick auf das Gerät und ein mit Zirkel und Dreiecken markiertes Bleistiftkreuz auf der Seekarte, das war’s denn auch schon”.
Hundemüde fallen wir noch vor Mitternacht in unsere gemütlichen Kojen und lassen uns vom Rollen der SOUTHERN CROSS II in den Schlaf wiegen.
Zeitsprung, flying foxes und blowholes
Vor Nuku’alofa kommen uns die Tränen: Dichter, beißender Qualm deckelt die Bucht. Südseedüfte? Stattdessen mieft es penetrant nach Müll. Wir sind enttäuscht. „Waldbrand”, versucht der Lotse abzuschwächen. Per Taxi entfliehen wir den Zivilisationsgerüchen ins Innere von Tongatapu, der am dichtest besiedelten und größten Insel des Königreichs Tonga. Zuvor passieren wir auf der Küstenstraße den viktorianischen Palast von König Taufa’ahau Tupou IV. Der greise Monarch sprach von seinem Reich gern als dem „Land, in dem die Zeit beginnt”. Grund dafür ist ein etwas seltsamer Haken, den die internationale Datumsgrenze nördlich von Tonga schlägt. Weil das Inselreich aber gute 20 Minuten östlich des 180. Breitengrades liegt, wurde extra eine neue Zeitzone eingerichtet. Die gibt Tonga 13 Stunden Vorsprung – weltweit einmalig – vor der Greenwich-Zeit. Jeder neue Tag beginnt zuerst hier.
Dennoch sitzt uns der Auslauftermin am frühen Nachmittag im Genick. Schnelle Eindrücke säumen die Piste: Niedrige Holzhütten, jahrmarktbunte Friedhöfe, Kokos- und Maniok-Plantagen. Bis plötzlich „flying foxes”, „fliegende Füchse” am Himmel hängen. Die heiligen, aber als Delikatesse geschätzten Fledermaus-Tiere hängen bei Kolovai zu Tausenden in den Bäumen und warten auf ihren nächtlichen Einsatz. An der zerklüfteten Westküste überraschen bis zu 30 Meter hohe Wasserfontänen, die aus den „blowholes” in die Luft schießen. Noch schnell ein Bad im badewannenwarmen Pazifik, eine Stippvisite in der Vogelstation und ab an Bord. Schwarze Abgaswolken kräuseln sich über dem Schornstein. Zum Zeichen, dass Chief Alois, genannt „Don Luis”, seine 4320 kW-Maschine gerade gestartet hat.
Koch Armando von den Philippinen wartet mit einem bunten Südsee-Salat auf.
Durch den Vulkan
Elf Stunden und 159 Seemeilen weiter: Lichtblitze durchzucken die tropische Nacht. Auf dem Radarschirm ein Gewirr von Land-Echos. „Volcanic activities” weist die Seekarte aus und gibt damit den ersten Hinweis. Bis drohend-schwarz steile Bergflanken vor dem Steven auftauchen. Vava’u lässt grüßen, ein ertrunkener Vulkan und heute Segler-Paradies. „Da müssen wir durch”, sinniert Kapitän Lutz und lässt seinen Fernglas-Blick schweifen. Nur das hoch auf einem Berg thronende Insel-Leuchtfeuer ist auszumachen. „Wir sind das einzige Versorgungsschiff und das größte, das sich hier nachts ’reintraut”, kündigt der Kapitän eine navigatorische Raffinesse an. „Wo bleibt bloß dieser Kerl?” fragt er sich und ruft über Funk den Hafen von Neiafu. Doch „dieser Kerl”, ein Fischer, tuckert heute nicht mit seinem Boot entgegen. „Sonst hat er extra für uns die Tonnen angezündet, aber das Kerosin dafür ist ihm ausgegangen”, schüttelt Lutz H. den Kopf und geht auf „langsame Fahrt”. Im Schleichtempo tastet sich SOUTHERN CROSS II an den fjordartigen Flanken entlang. Das Echolot zeigt nur noch einen Meter Wasser unter dem Kiel. Die Luft knistert vor Spannung: höchste Konzentration. Hinter der nächsten Biegung plötzlich Scheinwerfer – die rettende Pier. Aber die ist nur ein Drittel so lang wie das Schiff. Geschafft, mit ruhiger Hand! Schon Minuten später schweben die ersten Autos und Container von Bord. Unter den wachen Augen der Zweiten.
Erst am nächsten Morgen beim Auslaufen können wir sehen, was wir verpasst haben: Traumstrände in versteckten Buchten. Zu spät, SOUTHERN CROSS II hat einen Fahrplan.
Robinson-Spiel
Rote Fingernägel weisen den Weg. Nicht etwa die einer Dame, sondern – zu unserm größten Erstaunen – vom Lotsen. Hätte er dazu noch einen Rock getragen wie hiesige Polizisten und Militärs, wäre das feminine Bild komplett gewesen. Nach 341 Seemeilen voraus Upolu, die gebirgige Hauptinsel Western Samoas. Von 1899 bis 1914 war sie Kolonie des deutschen Kaiserreichs. Die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren.
In der Hauptstadt Apia brummt das Inselleben, nicht gerade eine Südsee-Idylle. Die finden wir aber an der Südküste hinter dem 700 Meter hohen Mount Vaea, nach kurvenreicher Taxi-Fahrt durch üppige Vegetation und an samoanischen Dörfern vorbei mit ihren traditionell offenen Fales-Hütten. Hier in Vailima, „nahe am Wasser”, lebte und schrieb Robert Louis Stevenson gegen Ende des vorigen Jahrhunderts seine viel gelesenen Werke „Die Schatzinsel” und „In der Südsee”. Samoa war seine Inspiration.
Unser Ziel ist die 22 Kilometer entfernte Coconut Beach. Das heisst einen Tag lang „Robinson” spielen: weißen, menschenleeren Strand, kristallklares Wasser und exotische Palmen-Traumkulisse genießen. Schweißtreibend nicht nur die Temperaturen unter fast senkrecht herab sengender Sonne, sondern auch das Knacken der überall herumliegenden Kokosnüsse. Fleisch und Milch der harten Schalenfrüchte ergeben einen stilechten Imbiss. „Freitag” tritt aus dem Busch und entpuppt sich als liebenswerter Insulaner, der über die Begegnung mit den „german sailors” hoch erfreut ist. Das Bild vom fleißigen Deutschen steht hier nach wie vor hoch im Kurs. Kapitän Lutz H. trägt dazu bei: Er pinselt hingebungsvoll außenbords.
Verliebt in Pago-Pago
Zwar liegen nur 80 Seemeilen zwischen Western und Amerikanisch-Samoa, dem nicht integrierten Territorium der Vereinigten Staaten, doch es scheint, als seien es Welten. „Hier auf Tutuila arbeitet jeder, wie er will; die Leute sind faul, aber freundlich”, erklärt die neuseeländische Journalisten-Kollegin von der Zeitung „Samoa News” den gemächlichen Lebensstil auf der Insel. Zur Arbeit bringt man auch schon mal die Verwandtschaft mit, um dann in aller Ruhe das Mittagessen zu zelebrieren. Auf den Straßen von Pago-Pago liegt, sitzt, steht und schwatzt man herum, wie es einem gerade passt. Genauso wird der Fast-food-Müll entsorgt: einfach in die Gegend damit. Zum Schutz der Bäche, die in die von hohen, schroffen Bergen gesäumte Bucht münden, sind Netze über ihr Bett gespannt. Bis auf den Grund hängen sie durch unter der Last von leeren Büchsen, Bechern und Flaschen. Thunfisch verarbeitende Konservenfabriken – die Tiere werden von Bord der Trawler sogar mit Hubschraubern gejagt – pumpen ihre Abwässer ungeniert ins Meer. Unter den Augen der sonst so gestrengen US Coast Guard. Auf Zehn-Dollar-T-shirts verfolgt wird immer noch Osama bin Laden als „most wanted man – dead or alive”. Untermalt von dröhnender Popmusik, die aus den Lautsprechern der offenen buntbemalten Busse scheppert. Je lauter, desto mehr Fahrgäste steigen zu. Wir verzichten, denn das Regenloch Pago-Pago hält uns gefangen. Katrin, die Zweite, möchte aus einem anderen Grund bleiben. Der heisst John, ist Reederei-Agent und ein ehemaliger australischer Hubschrauber-Pilot. MS SOUTHERN CROSS II kann auf zarte Gefühle allerdings keine Rücksicht nehmen. Sie müssen warten bis zur nächsten 3234-Seemeilen-Reise, die für uns in Auckland endet. „Haere ra!” Auf Wiedersehen!
Infos
MS SOUTHERN CROSS II, Mehrzweck-Containerschiff; gebaut 1999 in Wuhu/China; 5350 tdw; 99,95 m Länge; 18,20 m Breite; 6,50 m Tiefgang; Maschine MaK 4320 kW; 16 Knoten (maximal); Passagiereinrichtungen: zwei Doppel-, zwei Einzelkammern; Heimathafen: Bremen; Flagge: Antigua.
Buchung Frachterreisen Südsee: www.zylmann.de · www.frachtschiffreisen-pfeiffer.de · www.hamburgsued-frachtschiffreisen.de
MS SOUTHERN CROSS II hat im Hafen von Apia festgemacht.
Blick von der Brücke auf das voll beladene Vorschiff.
Per Pick-up unterwegs auf Samoa ins Inselinnere.Eine der vielen typischen Dorfkirchen auf Apia.
Trauminselchen nahe dem Ankerplatz auf Vanuatu.
Hier kommen auch hartgesottene Seeleute ins Träumen.
Eine „Sehnsuchts-Palme” am Riff von Tonga.
Spouting holes – hier wird durch die Brandung Wasser durch ein Lavaloch nach oben gepresst.
Frauen und Kinder fegen eine Dorfstraße auf Tonga.
Vanuatus Strände bieten immer wieder neue Aussichten.
Schorcheln gehört bei einem Insel-Ausflug natürlich auch dazu.
Ein typisches Dorf-Versammlungshaus auf American Samoa.