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19618 00 Nissos Samos Piraeus09 2019 Kai Ortel Die NISSOS SAMOS einlaufend Piräus. Ihre japanische Herkunft ist an der Silhouette des Schiffes gut erkennbar.
Fotos: Kai Ortel, Berlin

Kai Ortel

Mit Hellenic Seaways durch die Nördliche Ägäis –
An Bord der Mittelmeerfähren NISSOS SAMOS und NISSOS RODOS

Wer mit der Fähre von Griechenland in die Türkei möchte, muss den Umweg über die Insel Chios nehmen. Hellenic Seaways verbindet Piräus mit der fünftgrößten Insel Griechenlands, die bereits in der Antike eine eigenständige kleine Seemacht gewesen ist. Die NISSOS SAMOS und NISSOS RODOS verkehren mit Nacht- wie auch mit Tagesfahrten auf der 157 Seemeilen langen Route.
Der Juli-Nachmittag ist mit 30 Grad für griechische Verhältnisse vergleichsweise mild. Die NISSOS SAMOS liegt zu diesem Zeitpunkt bereits an ihrem Anleger im Hafen von Piräus. Die Dame im Hafenbüro hatte mir vorhin noch das „Gate E2” auf meinem Ticket dick eingekringelt, denn der Laie kann sich in diesem Hafen, der zu praktisch jeder Tageszeit vor Fähren nur so wimmelt, gerne einmal verlaufen – und damit sein Schiff verpassen.
Mir sollte dies nicht passieren. Die NISSOS SAMOS hat an demselben Anleger festgemacht wie die ARIADNE, mit der ich bereits vor zwei Jahren ebenfalls nach Chios gefahren bin. Außerdem ist sie mit ihren riesigen Dimensionen nicht zu übersehen. Als nordeuropäische Fährreedereien in den 1990er Jahren plötzlich nur noch Gebrauchttonnage auf den Markt brachten, die mit ihrer hohen Betten- und eher geringen Frachtkapazität nicht mehr so recht zu den Erfordernissen des griechischen Fährmarktes passen wollte, sahen sich griechische Reedereien verstärkt in Japan um. Die dort freiwerdenden Nachtfähren entsprachen viel eher den Bedürfnissen der Linien nach Kreta, Rhodos, Chios und Lesbos und ließen sich auch leicht umbauen. Die NISSOS SAMOS ist hierfür ein gutes Beispiel. 1988 als NEW AKASHIA gebaut, wechselte sie 2004 nach einem Umbau zunächst als IONIAN QUEEN für den Adria-Verkehr an Endeavour Lines. 2012 meldete diese Reederei Insolvenz an, und Hellenic Seaways kaufte das Schiff. Seit 2015 fährt es unter seinem jetzigen Namen NISSOS SAMOS in der Ägäis, wo es mit seinen stolzen 193 Metern Länge zu den größten seiner Art gehört. Im Hafen von Piräus ist nur noch das riesige schlammbraune Silo gleich hinter dem Anleger der Chios-Fähre höher, seit Jahren ein Schandfleck in dem ansonsten mittlerweile halbwegs modernen Mix aus sonnengeschützten Wartebereichen, spartanischen Ticket-Häuschen und verstreuten LKW-Aufstellflächen. „Piraeus Cultural Coast” steht in großen Lettern auf der Fassade des Silos, wie der Flughafen BER in Berlin ein Endlos-Projekt, das bereits seit Jahren die Umwandlung des Gebäudes in ein Museum vorsieht. Passend dazu weist es, ebenfalls auf der Außenwand, darauf hin, dass sich 2021 die Schlacht von Salamis zum 2.500sten Mal jährt.

An Bord der NISSOS SAMOS
Als ich um 18 Uhr am Heck der Fähre eintreffe, hat das Boarding bereits begonnen. Die Rolltreppe für die Fußpassagiere, Standard auf griechischen Fähren, befindet sich bei der NISSOS SAMOS allerdings nicht direkt an der Backbord- oder an der Steuerbordseite des Schiffes, sondern genau in der Mitte zwischen dem Hauptfrachtdeck und einer separaten Rampe zum darüberliegenden Autodeck an Steuerbord. Ansonsten ist das Procedere dasselbe wie auf fast jeder griechischen Nachtfähre. In den öffentlichen Räumen (hier auf Deck 7) angekommen, teilt ein Offizier beim Blick auf das Ticket die Neuankömmlinge in Decks- und Kabinenpassagiere auf. Ich zähle zu letzteren, ein weiteres Besatzungsmitglied bringt mich daher zu meiner Kabine. In Ermangelung von Fremdsprachenkenntnissen deutet der Steward mit zwei Fingern die zwei Decks an, die es hoch zu Kabine 904 geht, wohl als Zeichen dafür, dass das mitsamt Gepäck ein ganz schön weiter Weg ist und wir dazu gerne den Fahrstuhl nehmen können. Sehe ich etwa so abgekämpft aus?
Nr. 904 ist eine Luxuskabine. Der Preisunterschied zur Standard-Kabine war bei der Buchung minimal gewesen, außerdem komme ich so in den Genuss eines Obsttellers (mit Reederei-Logo) und einer Flasche Wasser, beides praktischerweise direkt über der kühlenden Klimaanlage drapiert. Überhaupt ist die ganze Kabine angenehm kühl. Was auf Kreuzfahrtschiffen amerikanischer Bauart nervt, ist im griechischen Hochsommer höchst willkommen. Außerdem verfügt mein Zuhause für die (kurze) Nacht über zwei Sessel, einen Schreibtisch, eine Kommode, einen großen Kleiderschrank sowie einen Flachbildfernseher. Es gibt Kreuzfahrtkabinen, die spartanischer ausgestattet sind. Auch das bordeigene W-LAN ist kostenlos, leider aber auch so langsam, dass mein Handy sämtliche Versuche, sich mit ihm zu verbinden, nach mehreren Minuten entnervt einstellt. Kurios ist dagegen das Badezimmer. Es hat japanische Dimensionen, mit meinen 1,85 Metern Körpergröße stoße ich mir beim Betreten also erst einmal den Kopf. Am Waschbecken dann zwei Wasserhähne, einer rot, einer blau, beide spenden aber das gleiche lauwarme Wasser. Dafür könnte ich in der Wanne nebenan gemütlich baden, fürs erste brauche ich die Dusche jedoch nur, um mich frisch zu machen und meinen Kopf zu kühlen. Denn beim Rausgehen stoße ich mir zum zweiten Mal den Kopf.

Von Piräus nach Chios
Die beiden Hauptmaschinen, zwei Achtzylinder-Pielstick Diesel mit zusammen 17.500 kW, wirft der Kapitän der NISSOS SAMOS gut hörbar bereits um 19:30 Uhr an, mehr als eine halbe Stunde vor der Abfahrt des Schiffes und zu einem Zeitpunkt, als unten am Kai die Einschiffung noch in vollem Gange ist. Erst eine Viertelstunde später erfolgt die Durchsage, dass alle Besucher das Schiff verlassen möchten. Womit offensichtlich weniger die Angehörigen der Besatzung als vielmehr die fliegenden Händler gemeint sind, die in griechischen Häfen traditionell mitsamt den regulären Passagieren an Bord kommen. Unten am Kai sind aber noch immer haufenweise Passagiere, Autos und LKWs, die an Bord wollen, während die Abgase aus dem knallroten Schornstein der NISSOS SAMOS mittlerweile nicht nur das Heck der Fähre, sondern den halben Hafen von Piräus im wahrsten Sinne des Wortes eindieseln. Pünktlich um 20 Uhr hebt sich aber die Heckrampe des Schiffes, und die Überfahrt nach Chios kann beginnen.
In den ersten Minuten nach dem Ablegen verfolgen noch viele Passagiere an der Reling oder aus ihrem Stuhl unter dem Sonnendach die Ausfahrt aus Piräus, mit dem Aufziehen der Dämmerung verlagert sich das Schiffsleben aber zunehmend nach innen. Und dort ist es rappelvoll. Zwar öffnet bei der Abfahrt das Büffetrestaurant „Agora” auf Deck 8, bald jedoch verteilen sich diverse Passagiere und Reisegruppen samt ihrer mitreisenden Hunde, Katzen und Vogelkäfige außer auf die Sitzgruppen in der „Orion Lounge” auch in den Korridoren und Treppenhäusern, wo sie auch gleich ihr provisorisches Nachtlager aufschlagen. Vernünftige Fotos von der Inneneinrichtung sind da so gut wie nicht mehr möglich, und auch in der etwas abgeschiedenen „Business Lounge” auf Deck 9 handle ich mir das unvermeidliche „Sorry, no pictures” von einem der wachhabenden Offiziere ein.
Dabei wird es zur Blauen Stunde gerade an Deck erst richtig gemütlich. Die NISSOS SAMOS verfügt über unglaublich viele Außenflächen, die sich über drei Decks (7, 8 und 9) erstrecken, inklusiv einem Rundgang unter der Kommandobrücke mit Blick in Fahrtrichtung. Als uns im Saronischen Golf die Partnerfähre DIAGORAS passiert (welche die Route nach Chios und Lesbos in der Nebensaison bedient), taucht die untergehende Sonne den Himmel in orangefarbenes Licht, und ein frischer Wind verschafft willkommene Abkühlung. Danach wird es zwischen 21 und 21:30 Uhr extrem schnell dunkel. Ein SEA JET lasse ich in der Dunkelheit noch an uns vorbei brausen, dann geht’s auch schon ins Bett. Mit Sachen, sicher ist sicher. Denn der Wecker klingelt nachher schon um 4:00 Uhr. Auf meiner Fahrt mit der ARIADNE vor zwei Jahren hatte ich mich auf die angekündigte Ankunftszeit 4:50 Uhr verlassen, nur um bereits eine halbe Stunde vor dieser Zeit aus dem Bett geklingelt und von Bord gescheucht zu werden. Das soll mir morgen früh nicht passieren. Auch kann ich mich diesmal nicht wie damals auf einen Mitreisenden verlassen, der dasselbe Reiseziel hat wie ich. Zwar steht beim Ins-Bett-Gehen eine ominöse Tüte in meiner Kabine (gebucht hatte ich ein Einzelbett anstatt der ganzen Kabine), dessen Besitzer lässt sich jedoch später am Abend genauso wenig blicken wie kurz nach der Einschiffung. Während die Klimaanlage laut vor sich hin schnarrt, versuche ich also allein ein paar Stunden Schlaf zu finden.
Was allerdings nur leidlich gelingt, da mitten in der Nacht ein plötzliches Rumpeln das Schiff erschüttert, zusätzlich zu dem lauten Geratter und Geschüttel, das die Fahrt der NISSOS SAMOS bisher ohnehin schon begleitet hat. Wie sich herausstellt, legt das Schiff um 2:30 Uhr einen nächtlichen Zwischenstopp auf Psara ein, einem vegetationsarmen Inselchen westlich von Chios, das gerade einmal 458 Einwohnern zählt. Woran die Osmanen nicht ganz unschuldig sind, welche die Insel 1824 eroberten und sämtliche ihrer damals 15.000 Einwohner entweder töteten oder in die Sklaverei verkauften, wovon sich Insel und Bevölkerung nie wieder erholt haben.
Nach ein paar Minuten ist der Spuk wieder vorbei, und die NISSOS SAMOS setzt ihre Fahrt nach Chios fort. Danach wieder einzuschlafen, fällt allerdings schwer. Von 3 bis 4 Uhr klappt es noch mal, einen durchgängigen Schlaf kann man das aber eher nicht nennen. Um kurz nach 4 Uhr ist meine Nacht daher endgültig zu Ende, und ich schleppe mich müde, wie ich bin, und in Erwartung der Insel Chios mitsamt Gepäck auf das achtere Sonnendeck. (Der Besitzer der ominösen Tüte in meiner Kabine ist da immer noch nicht aufgetaucht.) Was übrigens nur im Zickzackkurs funktioniert, denn in der Nacht sind sämtliche Gänge, Korridore und Treppenhäuser der Fähre mit Unterlagen aller Art bedeckt, die weicher sind als der Stahlboden: Wolldecken, Isomatten, Schlafsäcke und Luftmatratzen, und darauf natürlich deren zwei- bis vierbeinige Besitzer. Der Rest schnarcht und röchelt in den vielen Pullmansitzen, über welche die NISSOS SAMOS natürlich ebenso verfügt, vor sich hin.
Doch warum die Eile? Zwar macht sich die NISSOS SAMOS um 4:45 Uhr tatsächlich bereit für ein weiteres Anlegemanöver, allerdings wieder nicht in Chios, sondern, wie eine Borddurchsage verrät, auf der Insel Inousses. Auch diesen Zwischenstopp habe ich nicht auf dem Schirm gehabt. Die ARIADNE war 2017 von Piräus noch direkt nach Chios gefahren, warum sollte dies 2019 anders sein? Hätte ich doch bei der Einschiffung einen Blick auf die digitale Laufschrift am Heck geworden, die auf griechischen Fähren bis zur Abfahrt immer auch jeden Unterwegshalt des Schiffes anzeigt.
Zum zweiten Mal in der Nacht werde ich also Zeuge, wie beträchtliche Vibrationen und mechanische Geräusche aller Couleur das Achterschiff erzittern lassen, während draußen in der Finsternis kaum mehr zu erkennen ist als eine halbwegs erleuchtete Kirche auf der vorgelagerten Halbinsel. Das östlich von Chios gelegene Inousses ist mit 820 Einwohnern kaum stärker bevölkert als Psara. Ihre Bewohner entgingen jedoch während der griechischen Revolution mittels rechtzeitiger Flucht dem grausamen Schicksal, das zur selben Zeit die Nachbarinsel Psara ereilte. Im Jahr 2019 versorgt die NISSOS SAMOS Inousses mit einem kurzen nächtlichen Stopp an ihrem hell erleuchteten Pier, dessen zwei wartende Autos eigentlich kaum den Treibstoff lohnen, den es das riesige Schiff kostet, diesen Umweg zu fahren.
Nach der Abfahrt aus Inousses füllt sich das Achterdeck der NISSOS SAMOS schließlich mit jenen Passagieren, die in Chios aussteigen wollen. Handys klingeln allerorten, Nachrichten werden gelesen. So richtig wach sind zu dieser frühen Stunde allerdings nur die wenigsten – die Kinder schon gar nicht und die Erwachsenen allenfalls dank der magischen Wirkung des Kaffees, dessen Duft auf griechischen Fähren Tag und Nacht über die Decks und durch die Korridore strömt. Selbst der Mann an der Rezeption nimmt die zurückgegebenen Kabinenschlüssel kommentarlos und nur mit einem kurzen Nicken entgegen. Lediglich die Hunde scheinen dem Ende der Überfahrt entgegenzufiebern. Als sich die Karawane aus Fußpassagieren aufmacht in Richtung Autodeck, wo die Ausschiffung erfolgt, hinterlässt sie an Deck ein mittelschweres Chaos aus leeren Wasserflaschen, Getränkedosen, Chips-Tüten, Brötchenkrümeln und Pistazienschalen. Da ist es 5:45 Uhr, die NISSOS SAMOS hat also auch noch mit 20 Minuten Verspätung in Chios festgemacht. Wie gut, dass ich hierfür schon um 4 Uhr aufgestanden bin!

An Bord der NISSOS RODOS
Vier Tage und eine schöne Kurzkreuzfahrt später stehe ich erneut auf dem Kai in Chios. Diesmal um meine Rückreise nach Piräus anzutreten und im Rahmen einer Tages- anstelle einer Nachtfahrt. Auch das Schiff, das um kurz vor 14 Uhr um die Ecke der Hafeneinfahrt biegt, ist ein anderes als auf der Hinreise. Es ist die NISSOS RODOS, ebenfalls eine ehemalige Japanerin (1987 als KISO gebaut) und in ihren Abmessungen der NISSOS SAMOS ganz ähnlich. Auch sie war nach ihrem Wechsel von Fernost ins Mittelmeer 2005 zunächst in der Adria im Einsatz gewesen, ehe sie nach einem Großumbau 2010 in die Ägäis wechselte.
Die NISSOS RODOS hat ihren Starthafen Mytilene auf Lesbos heute um 11 Uhr verlassen und soll erst gegen 21:45 Uhr Piräus erreichen. Die lange Fahrdauer erklärt wahrscheinlich, warum sich am frühen Nachmittag vergleichsweise wenige Fußpassagiere auf dem Kai in Chios eingefunden haben. Wer es eilig hat, nimmt den Flieger, und wer keine acht bzw. elf Stunden auf der Autofähre totschlagen will, wartet auf die Nachtfähre.
Ich habe für die Tagesfahrt keine Kabine, sondern nur einen Flugzeugsessel gebucht. Diese sind zwar sowohl auf dem Ticket als auch in Wirklichkeit an Bord nummeriert, den richtigen zu finden ist bei der Vielzahl an gleich aussehenden Sesseln aber alles andere als einfach. Über zwei Decks verteilen sich auf der NISSOS RODOS die öffentlichen Räume, und wo nicht gerade eine kleine Bar oder ein Kiosk das Bild auflockert, ist so ziemlich das ganze Schiff mit den immer gleich aussehenden Flugzeugsesseln vollgestellt. Dabei besteht auf der heutigen Fahrt im Gegensatz zu so manch anderer sommerlichen Fährreise in der Ägäis überhaupt kein Grund, ausgerechnet den zugewiesenen Platz zu belegen. Das Schiff ist halbleer (ich kann sogar ein paar Innenaufnahmen wagen, ohne verwarnt zu werden), und somit herrscht freie Auswahl bei der Belegung des Sitz- bzw. Schlafplatzes.
Dennoch verfügt die NISSOS RODOS über eine Reihe architektonischer Besonderheiten, die das Schiff von anderen Fähren abheben: Achtern auf Deck 8 befindet sich z. B. das „Kamiros Theater”, eine leicht erhöhte Theaterbühne mit Klavier und Vorhang, die sowohl in Form als auch in Funktion auf einem Schiff wie diesem vollkommen deplatziert ist. Tatsächlich wird das Kamiros Theater wie der Rest der Fähre auch als Schlafhalle benutzt, ein skurriler Anblick ist es aber gleichwohl. Das zweite Faszinosum ist das „Colossus Atrium” weiter vorne im Schiff, ein ebenso überdimensioniertes wie übertrieben schickes Foyer, dessen zentrale Treppenkonstruktion einen großen Teil des Atriums einnimmt. Auf dieser ehemaligen Frachtfähre schien Platz beim Umbau keine Rolle gespielt zu haben, anders lässt sich der verschwenderische Umgang damit an Bord der NISSOS RODOS nicht erklären. Der Schornstein des Schiffes hat dagegen frappierende Ähnlichkeit mit dem der berühmten QUEEN ELIZABETH 2 – nicht nur was die rote Reedereifarbe von Hellenic Seaways betrifft, die jener der Cunard Line zum Verwechseln ähnlich ist, sondern auch die konische Form des Rauchabzugs selbst.

Von Chios zurück nach Piräus
Auf dem ersten Teilstück der Reise zwischen Lesbos und Chios muss es noch geregnet haben, denn als die NISSOS RODOS kurz nach ihrer pünktlichen Abfahrt aus Chios eine scharfe Wende nach Backbord einlegt, ergießt sich ein ordentlicher Schwall Regenwasser vom Sonnendach auf die darunter sitzenden Passagiere. Was dann aber für viele Stunden auch schon das Aufregendste war, das sich vom Geschehen an Deck berichten lässt. Zwar bringen die blauen, roten und grünen Plastikstühle ein wenig Farbe in die Sitzbereiche an der frischen Luft, so richtig gemütlich wirken die Außendecks des Schiffes dadurch aber noch nicht. Die öffentlichen Räume sind weit weg, und der blanke Stahlboden lädt genauso wenig zum Verweilen ein wie das Gebell der Hunde in ihren Zwingern. Wie schon die NISSOS SAMOS hat zudem auch die NISSOS RODOS mit ihren fast 200 Metern Länge fast riesige Dimensionen für eine Ägäis-Fähre. An Deck ist man so bei einem Spaziergang zum Rundgang unter der Kommandobrücke eine ganze Weile unterwegs, und in den öffentlichen Räumen kommt immer dann, wenn man denkt, man sei endlich ganz vorne oder achtern angekommen, noch ein weiterer Raum mit Flugzeugsesseln. Und das SB-Restaurant „Lindos” auf Deck 8 hat zunächst noch geschlossen. Was waren das noch für Zeiten, als in der Ägäis gemütliche kleine Fähren aus den Anfangstagen der Ostsee-Fährschifffahrt fuhren, welche die griechischen Reedereien in den 1980er und 90er Jahren noch mit Kusshand genommen haben, um sie fast im Originalzustand in ihre eigenen kleinen Flotten einzufügen.
Ich tue es daher dem Rest der überwiegend griechischen Passagiere gleich und kuschele mich so gut es geht im klimatisierten Schiffsinneren in meinen Flugzeugsessel. Packe zünftig meine aus Pumpernickel, Trockenwurst und Schokokeksen bestehende Notration aus und döse irgendwo zwischen Chios und Andros über meinem Buch ein – Erholung von vier anstrengenden Kreuzfahrttagen in Mykonos, Santorin und Rhodos zuvor. Beim Gang auf die Toilette erblicke ich zudem einen Mann, der wie selbstverständlich bei offener Klotür im Stehen pinkelt. Vielleicht ist das ja in Griechenland so Sitte.
Gegen 18:15 Uhr durchquert die NISSOS RODOS die Meerenge Steno Kafirea, welche die Nordspitze der Insel Andros von der Südspitze Euböas trennt. Etwas mehr als die Hälfte der Überfahrt nach Piräus haben wir geschafft, und endlich gibt es an Deck etwas zu sehen. Auch wenn sich der Anblick in schroffen Felsenküsten bar jeden Zeichens von Zivilisation erschöpft. Kein Wunder, dass Groß und Klein stattdessen lieber unter Deck weiter unverdrossen auf seine Handys, Tablets und Spiele-Konsolen starrt. Ein bisschen lasse anschließend auch ich mich noch beim Lesen durchschütteln (obwohl sich mein Liegesessel ziemlich weit vorne im Schiff befindet), dann öffnet um 19 Uhr endlich das SB-Restaurant, und es kommt Leben in die bis hierher ziemlich apathische Passagierschar.
Auch draußen an Deck beginnt jetzt der schönste Teil der Reise. Zwei Stunden vor unserer Ankunft, als die Dämmerung einsetzt, erscheint achteraus plötzlich ein Regenbogen am Horizont. Mit einem Mal zieht es die Passagiere wieder auf die Außendecks, erst recht als in Fahrtrichtung voraus die Sonne untergeht und der Himmel wieder genauso orange leuchtet wie vor vier Tagen an derselben Stelle bei der Abfahrt meiner NISSOS SAMOS. An Backbord fährt das Luxus-Kreuzfahrtschiff RIVIERA seinem nächsten Zielhafen entgegen, und auch andere Schiffe kreuzen nun wieder verstärkt unseren Kurs, je mehr sich die NISSOS RODOS Piräus nähert. Als eine Stunde vor der Ankunft die Durchsage kommt, die Kabinen zu räumen, ist es draußen bereits fast dunkel. Im Mondschein läuft die Fähre am Ende in ihren Zielhafen ein, an Steuerbord die hell erleuchtete HORIZON von Pullmantur und an Backbord ein dicht bevölkerter Kai, an dem die nächsten Passagiere schon auf die NISSOS RODOS warten. Die wird Piräus bereits um 23:55 Uhr wieder verlassen, erneut mit Ziel Chios und Lesbos. Die NISSOS RODOS ist somit ein Arbeitstier der Hellenic Seaways-Flotte – vielleicht kein Traumschiff, aber eine höchst imposante Reinkarnation einer ehemaligen japanischen Langstrecken- bzw. einer griechischen Adria-Frachtfähre. Αντίο! (Auf Wiedersehen!)

Technische Daten und Steckbrief MS NISSOS SAMOS
Bauwerft: Ishikawajima Harima Heavy Industries, Kure (Japan), 1988; Im Dienst: seit Juli 1988; Ex-Namen: NEW AKASHIA -2004, IONIAN GLORY -2005, IONIAN QUEEN -2015; Flagge: Griechenland; Heimathafen: Piräus; Tonnage: 19.796 BRZ: Länge: 192,90 Meter; Breite: 29,40 Meter; Tiefgang: 6,75 Meter; Passagiere: 2.202; Betten: 376; Kabinen: 108; Autos: 730; Leistung: 17.480 kW; Höchstgeschwindigkeit: 21,8 Knoten.

Technische Daten und Steckbrief MS NISSOS RODOS
Bauwerft : Mitsubishi Heavy Industries, Shimonoseki (Japan), 1987; Im Dienst: seit Oktober 1987; Ex-Namen: KISO -2005, OCEAN TRAILER -2007, HELLENIC VOYAGER -2010; Flagge: Griechenland; Heimathafen: Piräus; Tonnage: 29.733 BRZ; Länge: 192,50 Meter; Breite: 27,00 Meter; Tiefgang: 6,70 Meter; Passagiere: 2.210;
Betten: 344; Kabinen: 98; Autos: 748; Leistung: 17.210 kW; Höchstgeschwindigkeit: 22 Knoten.

 

19618 01 Nissos Samos Außenkabine01 2019 Kai OrtelLuxus-Außenkabine an Bord der NISSOS SAMOS. Das Schränkchen in der Ecke enthält die Klima-Anlage, darauf ein Obstteller und zwei Flaschen Mineralwasser zur Begrüßung.

19618 02 Nissos Samos Oberdeck06 2019 Kai OrtelAuf ihren fast 200 Metern Schiffslänge verteilen sich auf der NISSOS SAMOS weitläufige Außendecks. An Backbord läuft gerade die Schnellfähre TERA JET in den Hafen von Piräus ein.

19618 03 Nissos Samos Arkade02 2019 Kai OrtelDie wenigen Sessel an der Arkade der NISSOS SAMOS sind bereits kurz nach dem Boarding schnell belegt.

19618 04 Nissos Samos Agora Restaurant02 2019 Kai OrtelDie Ruhe vor dem Sturm: Das Agora-Restaurant an Bord der NISSOS SAMOS vor der abendlichen Öffnung.

19618 05 Nissos Samos Orion Lounge01 2019 Kai OrtelDie Orion Lounge im Heck des Schiffes ist mit Rezeption, Bar und Rolltreppe zum Landgang des Herz der NISSOS SAMOS.

19618 06 Chios Hinfahrt07 2019 Kai OrtelGleich hinter dem Hafen von Chios Stadt erheben sich die bis zu 1.300 Meter hohen Bergmassive der fünftgrößten Ägäis-Insel.

19618 07 Nissos Rodos Chios12 2019 Kai OrtelNoch mehr als die NISSOS SAMOS ist die wuchtige NISSOS RODOS beim Einlaufen in Chios eine imposante Erscheinung.

19618 08 Nissos Rodos Theater02 2019 Kai OrtelAn das Kamiros Theater der NISSOS RODOS ist eine gemütliche Lounge nebst Bar angegliedert.

19618 09 Nissos Rodos Colossus Atrium02 2019 Kai OrtelBeim Colossus Atrium im vorderen Teil der NISSOS RODOS wurde mit dem vorhandenen Platz äußerst großzügig umgegangen.

19618 11 Nissos Rodos Protected Shadow Deck05 2019 Kai OrtelBauhaus meets Fährschifffahrt: Die bunten Plastikstühle an Bord der NISSOS RODOS bringen ein wenig Farbe in die ansonsten wenig spektakulären Außendecks.

19618 12 Nissos Rodos Air Type Seats02 2019 Kai OrtelLange Reihen von Flugzeugsesseln dominieren das Innere der meisten griechischen Inselfähren, so auch das der NISSOS RODOS.

19618 10 Nissos Rodos Oberdeck01 2019 Kai OrtelBlick über das Achterschiff der NISSOS RODOS. Die Ähnlichkeit ihres Schornsteins mit dem der QUEEN ELIZABETH 2 ist verblüffend.

19618 13 Nissos Rodos Reling02 2019 Kai OrtelNach der Passage der Meerenge Steno Kafirea verzückt ein Regenbogen über der Ägäis die Passagiere auf den Außendecks.

19618 14 Nissos Rodos Bug02 2019 Kai OrtelUnter der Kommandobrücke haben die Passagiere der NISSOS RODOS freie Sicht in Fahrtrichtung auf den Sonnenuntergang im Saronischen Golf.