TRANSATLANTIK · AUSGABE 6/2019
MS THETIS D hat festgemacht in Montreal. Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund
Dr. Peer Schmidt-Walther
Transatlantik retour
Containerfrachter THETIS D passt genau
„Please wait here, the captain will come soon”, bittet mich der freundliche philippinische Messesteward lächelnd und stellt einen Pott Kaffee und Kekse vor mir auf den Tisch. Kapitän und Eigner Mark Drevin aus Cuxhaven freut sich, in mir einen alten Frachterreise-Bekannten im Hafen von Montréal wiederzusehen.
„Übrigens: Wenn Du was aus unserer Kantine brauchst, auf Deiner Kammer liegt eine Liste. Gib sie dem Steward, der bringt Dir alles”. Die THETIS D habe eine Charter bekommen, erklärt Drevin, „die das Schiff hierher gebracht hat”. Mit leeren Containern gehe es zurück nach Bremerhaven. So trifft man sich nach einigen gemeinsamen Nord-Ostsee-Reisen wieder. Da Drevins Schiffe auch Passagiere mitnehmen, kam mir diese Rückfahrtmöglichkeit gerade recht.
Und Tschüß! So schnell, wie er gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Das Laden und Löschen hat nun mal Priorität vor der „lebenden Ladung”, wie Frachter-Passagiere gern scherzhaft genannt werden.
Meine Eigner-Kabine ist zweckmäßig-modern eingerichtet: Bett, Couch, Tisch, Stuhl, Schreibtisch, Schrank, TV, Musikanlage, hinter einem Vorhang Schlafraum, Dusche und WC.
Erstes gemeinsames Essen mit Kapitän, Chef-Ingenieur und Erstem Offizier in der gemütlichen Messe. „Wenn ich hier unten bin, bin ich verlassen”, gibt der Chief seine Schwäche für gutes Essen lachend zu. Suppe, Schnitzel, Reis oder Kartoffeln, Gemüse, Salat und Melone stehen heute auf dem Speiseplan. Der Koch hat keine Kombüsen-Geheimnisse. Die Tür zu seinem stählernen Hochglanz-Reich ist immer offen. Genauso selbstverständlich wie das tägliche Captains dinner.
Danach lädt der Zweite Offizier zur vorgeschriebenen „Sicherheitsparty” in den Salon. In dem gemütlichen Raum neben der Messe, der mit einem DVD-Player, Spielen und Büchern bestückt ist, hält der freundliche Mann mir einen Vortrag auf Englisch: auf welche Signale ich reagieren muss und was ich an Bord darf und was nicht. Letzteres ist wenig: zum Beispiel nicht nachts auf dem Ladedeck um das Schiff herumlaufen. Schließlich pilgert er mit mir zur Musterstation am orangefarben leuchtenden Freifall-Rettungsboot und zeigt, wie man richtig in das schräg stehende Gerät einsteigt. Am Schluss unterschreibe ich nur noch das Belehrungspapier. Fertig.
Land voller Extreme
Donnergrollen und kaum Durchschlafen. Jede Blechkiste, die geladen wird, poltert in ihre Halterungen. Containerfahrers Nachtmusik. Überraschung nach dem Aufstehen: kein Container mehr vor dem Fenster, doch auch kein Ausblick: Graue Nebelschwaden deckeln noch den Sankt Lorenz.
Erst am nächsten Abend ändert sich die Geräuschkulisse, als die Hauptmaschine bullernd anspringt. Zur Heimreise über den Nordatlantik.
Um Mitternacht wird die moderne wie historische Hauptstadt Quebec passiert. Ihre Lichterflut spiegelt sich eitel im Strom.
Im Winter herrsche hier knackiger Frost mit bis zu minus 35 Grad, wirft der Lotse ein. „Aber unsere Eisbrecher”, erklärt er weiter, als wir einen sichten, „laufen nur im Sommer aus, um den Versorgungsschiffen den Weg durch die berüchtigte Nordwest-Passage im hohen Norden Kanadas frei zu machen”. Ein Land voller Extreme.
Am westlichsten Vorposten
Allmählich wandelt sich die Wasserfarbe: von Fluss-Grün in Atlantik-Türkis. Berge, Wiesen und Wälder drängen sich mal näher an den spiegelglatten Strom, mal ziehen sie sich wieder zurück. Zwischendurch säumen elegante Villen die Ufer. Später sind seine felsigen Ufer nur noch dünn besiedelt. Der Strom schiebt mit. MS THETIS D jagt mit fast 19 Knoten dahin. Locker hängt unser Frachter das erste Schiff ab – es ist die CANADIAN PROSPECTOR, ein großer Laker oder Große-Seen-Bulkcarrier. Er karrt Weizen, Kohle oder Erz zwischen der Sankt-Lorenz-Mündung und dem amerikanischen Hafen Duluth am Lake Superior.
Bei Belle Isle passiert THETIS D, pünktlich wie berechnet, um neun Uhr die gleichnamige Meeresstraße zwischen Neufundland im Süden und Labrador im Norden. Der westlichste Vorposten Nordamerikas und Kanadas. Schneeflecken sprenkeln die kahle Tundra-Insel mit den steilen Felsklippen. Auf dem höchsten Berg thront einsam ein Leuchtturm. In einigen Buchten sind Eisberge gestrandet. Buckelwale und ganze Rudel schwarz-weißer Orcas blasen Fontänen in die Luft. Spielerisch katapultieren sie sich in die Luft, klatschen zurück ins Wasser, winken mit Fluken und Schwanzflossen. Wie zu unserem Abschied. Schwarz-weiß gefiederte Basstölpel bilden den Begleitschutz. Ein sonniger Bilderbuch-Sonntag in der frühlingshaften Arktis. Ihr zarter Grünschleier tut den Augen gut. Whale-watching gibt es gratis zu dieser Flussfahrt.
Der 360-Grad-Horizont wie leergefegt. Die Handys, letzter Landkontakt, verstummen endgültig. Kolumbus notierte dazu einst andere Beobachtungen: „An diesem Tag haben wir endgültig das Land aus der Sicht verloren, und viele Männer seufzten und jammerten vor Angst, dass sie es lange Zeit nicht wiedersehen würden … Ich bin der Einzige, der deswegen jubeln möchte”. Ihm ging es schon damals so wie mir, dem Passagier von heute. Für mich steht das Seefahrtserlebnis im Mittelpunkt – losgelöst von Zeit und Raum.
Stolz und standfest
Nicht lange, dann umwabern tückische Nebelschwaden das Schiff: Der kalte Labrador-Strom trifft hier, im Untergangsgebiet der TITANIC, den warmen Golfstrom. Dazu waagerecht heran fegende Regenschauer und zunehmender Seegang. In der Seekarte sind vor Neufundland und Labrador Gebiete eingezeichnet, in denen Eisberge vorkommen. Man glaubt ihren Hauch schon zu spüren.
Bald ändert sich auch die Wetterlage: Schläge wie von einer Riesenfaust, die gegen den grauen Rumpf hämmern. „Es hat aufgebrist”, kommentiert Mark Drevin das trocken auf der Brücke. Schräg von vorn laufen mehrere Meter hohe Wellenberge auf die THETIS D zu. Die schüttelt sich nur unwillig, legt sich etwas nach Steuerbord über und läuft ansonsten ungebremst weiter. Auch wenn Gischtkaskaden am Steven explodieren und das Schiff einhüllen. „Selbst acht Windstärken so wie jetzt”, ist Drevin stolz auf sein Schiff, „können den Dampfer nicht aus der Ruhe bringen. Der liegt gut”. Die große Containerfläche wirkt wie ein stabilisierendes Segel. Der 250 Meter lange Bulkcarrier, der wenig später passiert, sieht da schon um einiges bewegter aus.
Ein schräg von vorn blasender feindlicher Nordwestwind in Sturmstärke schüttelt uns kräftig durch und bringt die Container und ihre Laschstangen zum Schwingen. Eine Kakophonie aus Knarzen, Sirren, Brummen und Grollen. Der nicht voll beladene Frachter rollt heftig hin und her. Da muss alles in der Kammer festgezurrt sein und sicher stehen. Nicht nur man selber sollte standfest sein, auch das Bier.
Nachts wird die Uhr eine Stunde vorgestellt. Das wiederum heißt eine Stunde weniger schlafen – nicht so einfach bei der verdammten Schaukelei. Die erste Flasche Bier fliegt samt Inhalt in hohem Bogen auf den Teppichboden.
Graue Wolken fetzen im Tiefflug über die Wellenberge. Sturm mit 30 Metern pro Sekunde beutelt die THETIS D. Irgendwann bricht sich die Sonne Bahn. Ständig wechselnde See- und Himmelsstimmungen. In der Brückennock wird man vom Salz überkrustet. Alles klebt von grobem Seesalz. Einmal über die Reling gewischt, und die Hände sind weiß. Rost ist vorprogrammiert. Aber noch glänzt alles vor frischer Farbe.
Eine Hand für dich, eine fürs Schiff
Statt eines Mittagsschläfchens verkeile ich mich in der Koje und lese. Bis die Alarmsirene aufheult: Generalalarm, sieben kurze, ein langer Ton. Ich schnappe mir die Rettungsweste und melde mich auf der Brücke beim Kapitän. So will es das Reglement für Passagiere. Die Crew sammelt sich mit Sicherheitshelmen, Westen und in Overalls um den Zweiten am Freifall-Rettungsboot achtern. Er erklärt alle Abläufe, bis der Kapitän einen Brandherd in der Proviantlast meldet. Nur zur Übung natürlich. Der Feuerstoßtrupp rennt nach unten, um Feuerbekämpfungs- und Atemschutzgerät aufzunehmen, Schutzanzüge anzulegen und die Schläuche auszurollen.
Gut eine halbe Stunde nach der Coffee time ist alles vorbei. Der Bootsmann sammelt seine Schäfchen wieder zur Arbeit. Mit Wasserstrahl, Schrubbern und Eimern rücken sie dem Hafenschmutz zu Leibe. Allem umwerfenden Rollen und Stampfen wie zum Trotz. „Der Dreck muss weg!”, lächelt der kleine, bescheidene Mann. Aber dann ist Feierabend für die Männer. Nach dem Abendessen, oft Reis mit Hühnerfleisch oder umgekehrt, versammeln sie sich in der Crew-Messe beim Bier, um Musikvideos anzuschauen. Voll aufgedreht natürlich.
Der Sturm hat zugenommen: auf über 40 Meter pro Sekunde, wir mir der Dritte am nächsten Morgen berichtet. Das sind satte zehn Beaufort! Die See wirft Kämme von zwölf Metern Höhe und mehr auf. Man kann sich kaum noch auf den Beinen halten und sucht überall Halt, nach dem alten Motto: eine Hand für dich, eine fürs Schiff! Wand- und Deckenverkleidungen knarzen wie Segelschiffstauwerk unter der Belastung. Selbst im Treppenhaus ist das stürmische Orgel- und Pfeifkonzert zu hören. Da bleibt nur eins: Koje und lesen.
Wenn der Steven in ein Wellental taucht, hebt die See die beiden Vier-Tonnen-Anker und lässt sie donnernd gegen die Bordwand krachen, mit schaurigem Widerhall aus der Vorpiek. Es scheint, als ob der Nordatlantik atmet. „Als wennste schwebst”, würde ein Berliner dazu sagen. Auf der Back könnte man sich wie die Turmbesatzung im Film „Das Boot” fühlen. Mit dem Unterschied, dass das hier live spielt.
Kapitän Drevin wählt schließlich einen südlicheren Kurs. Er will das Tiefdruckgebiet umfahren. Weiter „unten” liegt ein Azoren-Hoch mit besserem Wetter.
Abschied mit Gefühlen
Tage später. Dichter Schiffs-Einbahn- und Querverkehr mit Kurs im Englischen Kanal. Das Übliche hier. Weiße Kreideklippen an der englischen Südküste bilden die Kulisse. Kontrastiert von sattem Grün landeinwärts. Hin und wieder ein Herrenhaus oder Schloss im Fernglas. So jedenfalls kennt man die Szenerie aus der Fernsehserie „Rosamunde Pilcher”. Der Erste Offizier, der gerade auf Wache ist, hat keinen Blick dafür. Umso mehr für die verschiedenen Bildschirme im technikgespickten Fahrstand und das nautische Geschehen ringsum. Voraus ziehen nämlich drei schwerfällige Supertanker ihre Bahn. THETIS D muss sich hindurch schlängeln. Als Passagier ist man hautnah dabei, denn die Brücke steht jederzeit offen. Auch für Navigationsübungen mit Seekarte, Zirkel und Dreiecken, um per GPS die aktuelle Position zu ermitteln.
Der Chief mate blickt kurz nach achtern: „Black snow”. Die grau gemalten Decks, gerade frisch gewaschen, sind mit schwarzen Rußpartikeln gesprenkelt. „Das war keine gute Koordination”, meint er zur nicht bei ihm angemeldeten Reinigung der Abgasrohre mit Druckluft. Tägliches Motto für die Deckscrew: Deckwaschen von oben bis unten.
Und ich kann mich wieder meinem Privatvergnügungen widmen: schlafen, lesen, oder im Fitnessraum auf dem Hometrainer und in der Sauna schwitzen. Untermalt vom Schlagen der Schraube und dem Dieselsound. Wer sich näher für die Technik begeistern kann, dem bietet der Chief gern einen Rundgang durch sein lautes Labyrinth an. Er ist Herr über viele tausend Pferde. Man trifft ihn im klimatisierten und lärmgeschützten Maschinenkontrollraum vor dem Überwachungscomputer. Dann hat er nämlich Wache und auch etwas Zeit für eine Führung durch sein blitzsauberes Reich. „Das soll auch so bleiben”, sagt er und unterstreicht das durch Gesten, „solange ich hier Chief bin!” Gegen den Höllenlärm tragen wir Gehörschutz.
Einlaufen an einem sonnigen Vormittag nach neun Seetagen und rund 3.200 Seemeilen in die ruhige Wesermündung. Stunden später Ende der Seereise vor dem Columbusterminal von Bremerhaven. Und damit auch das Ende einer erlebnisreichen Weltumrundung. Mit Gefühlen wie der Entdecker Amerikas.
Informationen
Schiffsdaten MS THETIS D: Bauwerft: J. J. Sietas, Hamburg-Neuenfelde; Baujahr: 2009 als THETIS; Typ: 178 „Baltic Max”, Containerfeeder-Schiff; Länge: 168 m, Breite: 27,5 m, Tiefgang (max.): 9,50 m; tdw: 17.882 t; Klassifizierung: Germanischer Lloyd (GL); IMO-Nr.: 9372274; Eisklasse: E 4/1 A Super, TEU: 1421 TEU; Höhe: 38 m; Hauptmaschine: 11.200 kw (15.227 PS), MAN B&W; Geschwindigkeit (max.): 19 kn; Crew: 11; Bugstrahlruder: 900 kW, Heckstrahlruder: 750 kW; Flagge: Großbritannien.
Aus dem Taufspruch vom 20.9.2009: „… Dein Anblick erhellt, Du Thetis, des Meeres Braut … magst trotzen der rauen Gewalt unverwundet an Bug, in Luv und Lee …”
Fahrtgebiet: sonst überwiegend Nord-Ostsee; drei weitere moderne Containerschiffe der Reederei Drevin fahren im Mittelmeer und in Südostasien und nehmen Passagiere mit.
Buchung, Infos: Reederei Drevin: www.reederei-drevin.de
Blick in eine Kabine.
Sonnenglänzender St. Lorenz Strom.
Der Laker MS LADY HAMILTON passiert vor Montreal.
Die Insel Belle Isle vor dem St. Lorenz Golf.
Letzte Schneereste auf Belle Isle am St. Lorenz.
Bugsee im bewegten Nordatlantik.
Stürmischer Nordatlantik beutelt das Schiff.
Abendsonne über dem Englischen Kanal.
Düsterer Himmel über der Nordsee.
Abendstimmung im Ärmelkanal.
Knappe Passage in der Deutschen Bucht.
Einlaufend in der spiegelglatten Unterweser.